Holzhütte Alpines Lebensgefühl

Nesting

Nesting – grounded living – me time – housewarming = Zu Hause ist es am Schönsten

Blanka Trauttmansdorff aus der ÖW Spanien berichtet von einem neuen Trend der Mittel- und Südeuropäer zum Verschönern des eigenen Umfeldes sowie die Ableitungen auf das Urlaubsverhalten.

Holzhütte Alpines Lebensgefühl

Wenn die Temperaturen steigen und die Sonne erbarmungslos heiß vom blitzblauen Himmel über Barcelona stichelt – treibt es mich automatisch am Wochenende an den Strand und ans kühle Schwimmbad. Wenn keines meiner Kinder oder Freundinnen mir Gesellschaft leisten will, kaufe ich den Zeitungsstand leer und lese mich durch die monatelang versäumten Mode-, Dekorations-, Freizeit- und Kulturtrends. Und siehe da – gleich vier Magazine berichten vom neuen Trend der Mittel- und Südeuropäer: Nesting. Überrascht, bevor ich überhaupt versucht habe nachzudenken, was das bedeuten könnte, verlieren sich meine ersten Gedanken bei Nestlé, Nestbauen, ornithologischen Weisheiten oder sogar hoch wissenschaftlichen medizinischen Entdeckungen – alles nichts davon – ich lese weiter. Die Erkenntnisse über Nesting fesseln mich, und ich verschlinge alle vier Artikel an einem Strandnachmittag.

Erstaunlich ist, dass alle vier Berichte in Lifestyle- und Dekorationsmagazinen erscheinen und daher ihre Ableitungen aus dem tiefsten Innenleben unserer Häuser, Wohnungen, Heime und Lebensräume kommen. Sofort denke ich an die möglichen Folgen im sinnvollen Anpassen der Marketingstrategien im Tourismus und ob unsere Zielgruppe auch Nesting macht?

Also Nesting hat seinen intellektuellen Ursprung in der häuslichen Dekoration: Machen wir es uns zu Hause gemütlich, fein Wohnen – schöner Leben (das Programm strahlt soviel ich weiß sogar der ORF aus) – Gardening auf der Terrasse (eigene Ernte in Sicht...) – selbst renovieren und restaurieren (das lang erwartete kleine Erfolgserlebnis des Heimwerkers wird wahr...) – aber das alles nicht alleine genießen; nein, ganz im Gegenteil – Freunde werden zur Ernte der Jerrytomaten eingeladen – das muss zelebriert werden und wird selbstverständlich auf Instagram gepostet. Auf den selbst tapezierten und entwurmten (eigentlich schon entrümpelten) Armchair wird im Kreise der Lieben angestoßen und gespeist wird auf dem selbst bemalten Keramikgeschirr.  Wieder viele nette Bilder auf Instagram zu sehen.

Und wie sieht jetzt die Wochenend- und Urlaubsplanung dieser Menschen aus, die intensiv Nesting betreiben? Echt nicht einfach, das als Tourismusprofi zu analysieren. Geplant wird über DAS BILD auf Instagram, welches die blühenden Kakteen auf der Terrasse der Finca ca. 120 km weit weg von Barcelona im staubigen Landesinneren zeigt. #kaktuszuhause -  Wollt Ihr nicht am Wochenende zur Kaktusblüte nach Ager auf unsere Finca kommen? Und gleich sagen drei Freunde zu – und wie – sie wollen es sich mit ihren Gastgebern ungezwungen bei biologischem Essigwein bei 40 Grad im Schatten und kaputter Beregnungsanlage gemütlich machen. Was packt man ein? Ein superdickes Buch - unter 1000 Seiten geht nichts (Ken Follet, Falcone, Köhlmeier... die haben schon gewusst, dass Nesting den Buchabsatz wieder fördern wird...), schäbige Allroundschuhe, ein altes Poloshirt, Strohhut und vor allem vergiss dein ultraneues Handyladegerät in Barcelona, weil das passt nirgends wo rein. Und Nestinggefühle kommen beim Packen hoch: ruhige Landschaft, nette Gesellschaft, kleine Spaziergänge vor dem Haus, gutes ökologisches Essen, kein Ausgehen, aber ein selbstgemixter Sun Downer ist auf alle Fälle mit Erinnerungsfoto (Polaroid) drin. Die Gastgeber laden die Gäste freundlich ein – eine alte Truhe von A nach B zu verstellen, die Weinreben müssen ein wenig verhängt werden, das alte Rad braucht eine Sanierung und am Abend fühlen sich alle vor dem Kaminfeuer wie Helden. Erholt, müde, geschafft, aber zufrieden.

Im Kopf der Housewarmer/Nestinger/Me Timer hat der durchorganisierte Urlaub wohl wenig Platz – das Grounded living ist stark geprägt vom Leben mit und auf der ERDE – das alte Landleben oder leben im kleinen verstaubten Haus am Stadtrand blüht auf. Das unkomplizierte Zusammenleben mit Freunden im eigenen Haus für einige Stunden/Tage ist wie Therapie nach der elenden und stressigen Woche in der Stadt.

Nach all den Artikeln, die ich gesucht und gefunden habe, hat sich die Entwicklung des touristischen Angebotes in entlegenen Orten im tiefsten Spanien schon sehr nahe an Nesting herangetastet und wahrlich sagenhafte Metamorphosen sind im Gange. Entlegene Weinkeller werden zu charmanten Landhotels umgebaut; alte Strandhütten verwandeln sich in einfach elegante Strandcafes ohne Schnick Schnack; urbane Conceptstores punkten vor allem in Barcelona, Madrid und Bilbao. Ein gelungenes Beispiel als Kombination aus erlesenem Essen, Einrichtungsstore, Take away und After Work findet sich in Jaime Beriestain Cafe oder Luzio, ein Store für alle Geister und Gemüter.

Nesting – der neue Trend, der ganze Gesellschaftsschichten verändert, vereint, Grenzen niederreißt, entspanntes Verhalten mit Stil, produktiv und kreativ leitet und lenkt, aber doch man selbst bleiben darf.

 Quellen: Elpais.com; Marie Kondo; Universität Limerick (IRL), Lisa White (Lifestyle & Interiors)