Gedankenlesen für die Werbung

Gedankenlesen für die Werbung

Was löst Werbung in den Köpfen der Menschen aus? Diese Frage stellt sich das Marketing seit jeher. Jetzt liefern die Messungen von Gehirnströmen detaillierte Antworten. Auch die ÖW hat die innovative Technik schon genutzt. Ein Erfahrungsbericht.

Lange Zeit wurde im Marketing nur von dem bewussten und vernünftigen, rational handelnden Konsumenten aus gegangen. Heute wissen wir: Entscheidungen basieren überwiegend auf un­bewussten Prozessen und Emotionen.

Die bewusste Wahrnehmung funktioniert linear, wir fassen einen Gedanken nach dem anderen. Elf Millionen Mal schneller läuft die unbewusste Wahrnehmung ab, hier bearbeitet das Gehirn etwa 5.000 Vorgänge gleichzeitig. Ein neues Tool gewährt Werbern nun Einblicke in das Unterbewusstsein. Der Emotion Analyzer visualisiert und analysiert Emotionen anhand von Gehirnstrommessungen. Entwickelt hat das Gerät Professor Mitsukura an der Keiō Universität Tokio im Zuge einer 19 Jahre andauernden wissenschaftlichen Studie.

ELEKTRODEN MESSEN GEHIRNWELLEN

In einem Headset verbaute Elektroden registrieren die Empfindungen der Probanden, während sie zum Beispiel einen Werbespot sehen. Das System liefert dabei eine Echtzeit Visualisierung anhand von fünf emotionsbasierten Parametern: Interesse, Gefallen, Stress, Konzentration sowie Ruhe/Entspannung. Die Anwendungsbereiche im Marketing sind vielfältig. Bei der Produktentwicklung oder der Planung von Promotionmaßnahmen kann der Emotion Analyzer wertvolle Erkenntnisse liefern. Bisher wurden mit der Technologie etwa TV Spots und Apps getestet. Ein ausgefallenerer Einsatz ist der direkt am Point of Sale: In einer Filiale der Modemarke Uniqlo beispielsweise ermittelten die neurowissenschaftlichen Messungen die Stimmung der Kunden mit dem Ziel, das perfekte T-Shirt für sie zu finden.

DAS UNBEWUSSTE MESSEN

Die Österreich Werbung testete mit dem Emotion Analyzer die Wirksamkeit von Videoclips aus der Kampagne „Österreich. Die Kunst des Entdeckens“. „Ziel war herauszufinden, ob unsere Sehnsuchtsgeschichten die Probanden ansprechen, und aus den Ergebnissen konkrete Optimierungsvorschläge zu erhalten“, erklärt Michael Scheuch, Bereichsleiter Brand Management bei der ÖW. Die klassischen Marktforschungs- instrumente wie Umfragen und Experteninterviews fokussieren auf die bewusste Wahrnehmung. Der Emotion Analyzer gewährte einen unverfälschten Blick in die unbewusste Wahrnehmung der Zielgruppe – und die Ergebnisse waren durchaus überraschend.

Die Tests fanden in den lokalen Büros von Dentsu in Deutschland, Großbritannien, der Schweiz, den Niederlanden, Italien und Tschechien statt – also direkt bei den Zielgruppen auf den sechs Märkten. Im Anschluss befragten Interviewer die Probanden zu ihrem ersten Eindruck, ihren Vorlieben, der Klarheit der zu vermittelnden Nachricht, der Motivation und weiteren Erwartungen. Die Interviews sollten Erklärungen für Auffälligkeiten in der impliziten Messung durch den Emotion Analyzer liefern. Bei der Auswertung der Daten achteten die Analysten auf negative Stressmomente, die Störfaktoren für eine gute Story sind. Außerdem hatten sie ein Auge darauf, ob die Emotionskurven „Like“ und „Interest“ gleichzeitig abfielen. In diesen Fällen war es wichtig, die ausschlaggebenden Bilder oder die entscheidende Bildsequenz zu identifizieren. Wenn die Konzentrationskurve anstieg, deutete das darauf hin, dass es anstrengend war, den Inhalten zu folgen. Die betreffenden Sequenzen wurden im Anschluss mithilfe der qualitativen Auswertungen hinterfragt.

CASE-STUDY „BREATHE.TIME“ (MARKT ITALIEN)

Alle Videos erzielten im Test gute Werte. Das heißt, dass die kulturkreisspezifischen Sehnsuchtsgeschichten ihre Zielgruppe gut erreichten. Doch die Tests brachten auch Optimierungspotenzial ans Tageslicht, etwa beim Hero-Spot zur Kampagne „breathe.time“ für den Markt Italien. Durch einen gleichzeitigen Abfall der Kurven „Interest“ und „Like“ ab Sekunde 37 wurde beispielsweise ein Panoramabild als „negative“ Sequenz identifiziert. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass die Farbcodes des Bildes von der restlichen Produktion abwichen. Das Panoramabild wurde ersetzt und für nur zwei Sekunden eingeblendet. Bei einer klassischen Befragung hätten die Probanden das Bild nicht als Störfaktor identifizieren können, da die Reaktion rein unbewusst erfolgte. Der Anstieg der Konzentrationskurve am Ende des Spots wiederum wies auf eine schwere Verständlichkeit der Inhalte hin. Die anschließenden Befragungen zeigten, dass #feelaustria als Absender zu unpräzise erschien und die Botschaft „breathe.time“ am Ende des Spots irritierte. Als Reaktion wurde der Absender ÖW klarer kommuniziert und die Botschaft wurde präzisiert. Auch hier gilt: Ohne Emotion Analyzer wären die Probleme der Endsequenz wohl nicht zutage getreten.

In Befragungen tendieren Menschen zu sozial erwünschten Antworten. Etwas nicht verstanden zu haben, gibt niemand gerne zu. Erst auf Basis der Analyseergebnisse konnten die Probanden gezielt auf ihre Reaktion auf die Endsequenz angesprochen werden.

NEGATIVER VERSUS POSITIVER STRESS

Dass ein Anstieg der Konzentrationskurve nicht immer schlecht sein muss, zeigt ebenfalls das Fallbeispiel breathe.time. Die ÖW ließ zwei Varianten des Spots testen: Variante eins enthielt kurze Rückblenden, die den Protagonisten in alltäglichen Szenen zeigten. Variante zwei enthielt keine Rückblenden. Die Ergebnisse zeigten, dass die Rückblenden in Variante eins den Stresslevel der Probanden steigen ließen, aber dass zeitgleich auch das Interesse anstieg. Der „Stress“ wurde also als positiv empfunden, womit Variante eins aus der Messung als Favorit hervorging. Im Widerspruch dazu standen die Ergebnisse der qualitativen Interviews. Die Probanden sprachen sich klar für die Version ohne Rückblenden aus. Letztendlich schenkten die Experten den Ergebnissen der impliziten Messung Glauben – denn nichts ist ehrlicher als unsere unbewusste Wahrnehmung.