Hüttenwirtin aus Leidenschaft

Hüttenwirtin aus Leidenschaft

Die Liebe zu den Bergen führte Clara Tippelt von Stuttgart auf eine Hütte in den Tuxer Alpen. Wie die gelernte Modedesignerin als Hüttenwirtin lebt und warum die 27-Jährige ihre neue Heimat nicht mehr missen möchte.

Wann haben Sie erstmals mit dem Gedanken gespielt, das Stadtleben hinter sich zu lassen?

Tippelt: Das kam irgendwie nach und nach. Vor vier Jahren war ich das erste Mal auf Saison hier in Tirol und es hat mir so gut gefallen, dass ich immer wieder gekommen bin. Und dann hat auch der Zufall mitgespielt. Als ich gehört habe, dass Boscheben zum Verkauf steht, fiel die Entscheidung sehr schnell. Ich dachte mir: „Warum eigentlich nicht eine Almhütte kaufen?“ Und habe das Abenteuer gewagt.

Ist Ihnen die Umstellung schwergefallen?

Eigentlich nicht. Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Und in der Zwischensaison, wenn ich freihabe, fahre ich viel zu Freunden und nach Hause zu meiner Familie. Ich genieße es, ein oder zwei Wochen dort zu sein, möchte aber nicht mehr tauschen.

Was vermissen Sie?

Ich vermisse es zum Beispiel, einfach mal in einem Kaffeehaus in der Stadt zu sitzen und Menschen zu beobachten. Und Eis, das gibt es bei uns auf der Hütte nicht. Was ich an der Lage von Boscheben sehr schätze, ist die Nähe zu Innsbruck. Ich muss also nicht auf Annehmlichkeiten wie einen Kinobesuch verzichten. Zum Vergnügen fahre ich während der Saison trotzdem selten runter, meistens nur zum Einkaufen zweimal die Woche.

Was gefällt Ihnen an Ihrem neuen Arbeitsplatz am meisten?

Die Natur ist so schön hier oben. Morgens ist Boscheben für mich der schönste Platz, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Und ich habe auch das Gefühl, eine sinnvolle Arbeit zu machen. Die Wanderer kommen durstig und hungrig bei uns an und freuen sich, wenn sie von uns bedient werden. Ich habe das Gefühl, den Menschen in dem Moment etwas Gutes zu tun. Das macht mir Freude.

Man stellt sich das Leben am Berg auch einsam vor. Wie geht es Ihnen damit?

Das stellt man sich so vor, aber tatsächlich ist man kaum allein. Ich habe ja den Sommer über auch Personal. Zwei Personen, die mit mir hier oben wohnen, und Aushilfskräfte, meist aus dem Bekanntenkreis. Wenn man eine eigene Hütte hat, kommen auch laufend Freunde auf Besuch. Und mein Hund Merle ist sowieso immer dabei. Am Ende hat man gar nicht so viel Zeit, wie man meinen könnte. Und wenn man wirklich mal allein ist, genießt man das.

Gab es Momente, in denen Sie das Handtuch werfen wollten?

Nicht so direkt. Ich hatte ja letztes Jahr eine große Baustelle. Seither haben wir eine Spültoilette, eine Kläranlage, eine Solaranlage und ein Blockheizkraftwerk. Davor gab es gar keinen Strom. Das war eine sehr fordernde Zeit. Da habe ich mich schon mal gefragt, ob ich das alles schaffe. Aufgeben war aber nie eine Option. Diese Saison schon gar nicht, es war ein anstrengender, aber auch sehr schöner, langer Sommer und es war viel los.

... manchmal auch zu viel?

Na ja, die neue Patscherkofelbahn, die im Vorjahr eröffnet hat und deren Bergstation eine halbe Stunde Fußweg entfernt ist, bringt schon viel mehr Leute nach oben, das spürt man. An so manchen Sonntagen mit Schönwetter sind wir an unsere Kapazitätsgrenzen geraten. Und wenn so viel los ist, hilft auch mehr Personal nicht, weil wir uns gegenseitig auf die Füße treten. Aber diese Spitzen gehören eben dazu.


»Morgens ist Boscheben für mich der schönste Platz, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Und ich habe auch das Gefühl, eine sinnvolle Arbeit zu machen.«


Haben Sie sich auch persönlich entwickelt, seit Sie auf der Alm sind?

Ja, definitiv. So eine Berghütte zu besitzen, bedeutet viel Verantwortung, die wiegt auch manchmal schwer. Manche Leute sagen, dass ich nicht mehr ganz so unbeschwert bin wie früher. Aber man wächst mit seinen Herausforderungen und gewinnt an Selbstvertrauen, das ist gut so.

Was würden Sie sich von Ihren Gästen wünschen?

Manchmal mehr Verständnis. Die Beucher kommen bei der Bergstation an, dort gibt es ein großes Restaurant mit einem üppigen Angebot. Dann wandern sie eine halbe Stunde nach Boscheben. Und plötzlich ist die Karte kleiner. Die Touristen verstehen oft nicht, dass alles mühevoll hochgebracht werden muss und in 2.000 Meter Höhe keine Müllabfuhr kommt. Es kommt schon vor, dass die Wanderer ihren Abfall bei uns lassen möchten oder sich beschweren, weil wir keine Pommes anbieten. Hin und wieder geht einem dann die Geduld aus. Aber die meisten Gäste sind freundlich und dankbar, dass sie bei uns Rast machen dürfen.

Sie vermieten die Hütte heuer erstmals im Winter ...

Das neue Heizsystem funktioniert so gut, dass die Idee für die Winternutzung entstand. Mein Freund – ich habe ihn hier kennengelernt, als er Pächter der benachbarten Meissner Hauses war – hat einen Ski-Doo. Außerdem haben wir beide den Bergwanderführer-Kurs absolviert, das möchten wir nutzen. Wir wollen jetzt Ski-Doo-Fahrten mit Schneeschuhwanderung, Rodelpartie und Hütteneinkehr anbieten. Wir haben zwar im Winter eine Wohnung im Tal, sind aber immer wieder auf der Hütte.

Wie läuft’s mit den Buchungen?

Im Dezember findet die erste Geburtstagsfeier statt. Und auch eine Silvesterfeier ist geplant. Wir freuen uns über den guten Start.

Haben Sie weitere Modernisierungspläne?

Die Materialseilbahn wäre so ein Punkt. Sie läuft noch über einen alten Automotor. Aber noch funktioniert sie. Zuerst werde ich den Außenbereich verschönern. Meine Terrasse ist durch die Baustelle ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen worden. Auch neue Biergarnituren sind fällig und ein Kachelofen wäre fein.

Die Almwirtschaft auf Boscheben wurde vor vielen Jahren eingestellt. Haben Sie sich je überlegt, damit wieder zu starten?

Ich spiele hin und wieder mit dem Gedanken, Tiere heraufzuholen. Ein paar Ziegen oder eine Kuh ... Aber das würde noch viel mehr Arbeit machen und wir sind jetzt schon sehr gut ausgelastet.

Welche Tipps würden Sie anderen Menschen mitgeben, die über ein Leben auf der Alm nachdenken?

Das Leben hier oben ist wunderschön und macht viel Spaß. Man muss aber auch robust und zäh sein. Wenn man selbst mit seiner Arbeit zufrieden ist, sind auch die Gäste glücklich. Am Anfang geht die Arbeit sehr an die Substanz, aber man lernt, da darüberzustehen und sein Ding durchzuziehen.