Das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus ist heute populärer denn je. Doch angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage stellt sich die Frage, ob Tourismusbetriebe überhaupt Investitionen in die Nachhaltigkeit tätigen können. Umgekehrt gilt: Kann es sich die Reisebranche leisten, Nachhaltigkeit nicht ganz weit oben auf die Agenda zu setzen? – Die Coverstory aus der aktuellen Ausgabe von bulletin, dem touristischen Fachmagazin der Österreich Werbung.
Das Reisen ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, sondern hat auch gravierende Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Experten beziffern den Anteil des Tourismus an den globalen Treibhausgas-Emissionen mit etwa acht Prozent. Die Forschung geht davon aus, dass sich die prognostizierten Klimaveränderungen in den nächsten Jahrzehnten „sehr stark auf die österreichische Tourismusbranche auswirken werden“, wie es in einer aktuellen Studie des Klima- und Energiefonds heißt. Am stärksten trifft es demnach hierzulande den Wintertourismus, denn Schneelage und -sicherheit werden sich verändern. Durch einen Temperaturanstieg wird die Sommersaison zwar künftig länger dauern, jedoch macht das Outdoor-Aktivitäten nicht unbedingt attraktiver. Beeinträchtigungen durch Hitze, tropische Mückenarten, allergene Pflanzen, erhöhte Steinschlaggefahr, Extremwetter oder niedere Wasserstände werden erwartet.
Der Masterplan für den Tourismus propagiert Nachhaltigkeit als zukünftiges Grundprinzip und lenkt den Blick auf „qualitätsvolle Lebensräume, in denen sich Gäste und Bevölkerung gleichermaßen wohlfühlen.“ Ein ausgewogenes Verhältnis von ökologischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Komponenten ist laut der UNWTO (World Tourism Organization) unabdingbar, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Hier ergibt sich für den Tourismus ein ambivalentes Verhältnis, wie es eine Studie des Zentrums für nachhaltigen Tourismus in Eberswalde auf den Punkt bringt: „Einerseits ist seine Existenz begründet durch die Intaktheit von natürlichen und kulturellen Ressourcen, sodass er auch als potenzieller Bündnispartner einer nachhaltigen Entwicklung gelten kann. Andererseits steht er als Mitverursacher von unerwünschten ökologischen und soziokulturellen Auswirkungen selbst in der Pflicht, verantwortungsvolle und zukunftsfähige Praktiken anzuwenden.“ In diesem Spannungsverhältnis sollte stets berücksichtigt werden, dass es sich bei Tourismus um eine Vielzahl an Leistungserbringern unterschiedlicher Wirtschaftszweige handelt, die am touristischen Gesamtprodukt beteiligt sind. Die Kluft, die hier im Sinne der Nachhaltigkeit bewältigt werden soll, ist groß und hängt von allen Mitwirkenden des „Dienstleistungsbündels Tourismus“ ab. Ein Blick über den Tellerrand jedes einzelnen Akteurs und integratives Handeln sind somit notwendig. Auch eine ESPON-Studie (European Observation Network for Territorial Development and Cohesion) fordert zum Umdenken auf: Die Forscher sehen in der gegenwärtigen Situation eine mögliche Chance, „das traditionelle Tourismusmodell zu überdenken und es innovativer, kultureller und im Hinblick auf die Umwelt nachhaltiger zu gestalten.“
Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Tourismuswirtschaft ihre Nachhaltigkeitspläne vorantreibt. Der Krieg gegen die Ukraine hat dieses Bewusstsein noch einmal verstärkt: Lokale Produktion, kürzere Lieferketten und ein Umstieg auf erneuerbare Energie sind mittlerweile gang und gäbe. Doch wie wichtig ist eigentlich den Gästen das Thema Nachhaltigkeit? Rentiert es sich – abgesehen natürlich vom Umweltschutzgedanken – auf Nachhaltigkeit umzusatteln?
„Die meisten Menschen in Österreich, Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern finden Nachhaltigkeit im Urlaub gut. Allerdings ist es immer noch nur für recht wenige ausschlaggebend bei der Entscheidung für ein bestimmtes Urlaubsangebot. Häufig wird Nachhaltigkeit relativ spät im Auswahlprozess berücksichtigt und spielt dann eine eher untergeordnete Rolle. Nach eigener Aussage ist die Nachhaltigkeit den Urlaubern in den allermeisten europäischen Märkten allerdings durch Corona bewusster und wichtiger geworden“, weiß Ulf Sonntag, Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) in Kiel.
„Im NIT beschäftigen wir uns fast seit Gründung des Instituts vor gut 30 Jahren mit dem Thema – auch wenn es anfangs noch nicht unbedingt ‚Nachhaltigkeit’ hieß und es zwischenzeitlich nur wenige Projekte dazu gab“, erinnert sich der studierte Geograf. Das Thema habe in den letzten zehn Jahren deutlich an Fahrt gewonnen: „In Deutschland fragen wir seit 2012 kontinuierlich nach der Bedeutung der Nachhaltigkeit für die Urlauber.“ Im Reisekontext verortet Sonntag in Bezug auf Nachhaltigkeit noch immer eine Attitude-Behaviour Gap, also einen Unterschied zwischen grundsätzlicher Einstellung und tatsächlichem Verhalten der Gäste. Konkret bedeutet diese Gap, dass sich Reisende zwar gerne umweltbewusst und naturverbunden zeigen, jedoch nicht immer umweltfreundlich auf ihren Reisen agieren. Denn gerade im Urlaub wollen sich Menschen nicht einschränken. „Der Kunde will vor allem ein tolles Urlaubserlebnis – bei der Suche nach dem passenden Angebot spielt die Nachhaltigkeit für die meisten keine große Rolle. Aus meiner Sicht muss die Nachhaltigkeit deswegen ein integraler Bestandteil des Qualitätsversprechens von Reisezielen und Betrieben werden“, so Sonntag. Es bringe eher wenig, allein an der Einstellung der Gäste anzusetzen und diese für Umweltthemen zu sensibilisieren. Vielmehr müssten Tourismusbetriebe das nachhaltige Reisen propagieren und fördern. Eine entsprechende Entwicklung sei auch schon klar zu erkennen: „Gerade Betriebe, die vorausschauend denken und kundenorientiert handeln, kümmern sich bereits heute um den eigenen ökologischen Fußabdruck, um ihre Mitarbeiter, um regionale Partner.“
Wer im Tourismus ein umweltfreundlicheres Reiseverhalten fördern will, legt darauf Wert, die Umwelt möglichst wenig zu beeinflussen, auf soziale und kulturelle Aspekte Rücksicht zu nehmen und kann dem Gast gleichzeitig intensive und authentische Erlebnisse bieten. Damit werden die Bedürfnisse der Reisenden und der Einheimischen gleichermaßen inkludiert. Dies erfordere zwar ein Umdenken und auch die eine oder andere Investition, doch in der Regel rentiere sich diese schon in kurzer Zeit, sodass sich Wettbewerbsvorteile nicht nur durch eine größere Kundenorientierung, sondern auch im ökonomischen Gesamtbild zeigen. „In diesem Sinne ist es also eher das Angebot, das sich ändert, aber in der Folge auf einen wohlwollenden Kunden trifft, der das neue und bessere Angebot auch entsprechend wertschätzt“, meint Sonntag, der das Thema Nachhaltigkeit für die Österreich Werbung unter die Lupe genommen und im Folgenden in Zahlen gegossen hat.
Für nachhaltige Urlaubsangebote interessieren sich knapp über 60 Prozent der Befragten in Österreich sowie der Schweiz. Über 50 Prozent sind es in Großbritannien und Deutschland, gefolgt von den Niederlanden, Tschechien und Polen. Das Interesse ist augenscheinlich da, die Pandemie hat den Fokus darauf so gut wie allerorts noch verstärkt. So sagt zum Beispiel in Österreich knapp über ein Drittel der Befragten, dass sie ohnehin „schon lange“ daran interessiert sind, für etwa ein Viertel ist das Augenmerk darauf „jetzt deutlich höher“ als vor der Corona-Krise. Ein Blick auf die relevanten Zielgruppen, beispielsweise die Österreich- oder die Wintersport-Planer, offenbart, dass diese noch stärker an Nachhaltigkeit interessiert sind. So geben das immerhin rund 65 Prozent der befragten Deutschen und 80 Prozent der Briten an, die einen Österreich-Urlaub im Visier haben. Die Deutsche Reiseanalyse 2021 zeigt außerdem, dass „Natur erleben“ für 56 Prozent und „gesundes Klima“ für 47 Prozent ein Urlaubsmotiv ist. Den Wunsch nach möglichst ökologisch oder sozial verträglichen Urlauben äußern sogar zwei Drittel. Doch letztendlich gibt Nachhaltigkeit als Buchungskriterium nur bei mageren sechs Prozent den Ausschlag. Bei 22 Prozent ist es zumindest ein Aspekt neben anderen.
Das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus spiele laut Sonntag im Großen und Ganzen zunehmend eine größere Rolle, allerdings werde Nachhaltigkeit nicht unbedingt vom Gast, sondern vielmehr von der Politik eingefordert. Aktuell sei die Tourismusbranche noch in der Position, den Übergang zu mehr Nachhaltigkeit selbst zu gestalten. Sonntag rechnet allerdings fest damit, dass zukünftig innerhalb der EU die Vorgaben durch die Politik zunehmen werden. „Jetzt gibt es also noch die Möglichkeit, sich als Reiseziel oder Betrieb durch eine nachhaltige Ausrichtung zu positionieren und einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. In ein paar Jahren wird das voraussichtlich nicht mehr so einfach sein. Zielen in den Alpen und in Skandinavien wird dabei eher ein nachhaltiges Profil zugetraut als Zielen am Mittelmeer oder in der Ferne“, lautet die Prognose des Marktforschers.