Emanuel Lehner-Telič über die neue Normalität in China

Emanuel Lehner-Telič über die neue Normalität in China

Der Lockdown ist vorbei – aber wie sieht der Alltag der Chinesen jetzt aus? Plus: Wie kommt die chinesische Reisebranche durch die Krise und hat Corona nachhaltige Auswirkungen auf das künftige Reiseverhalten der Chinesen? ÖW Region Manager Asien Emanuel Lehner-Telič berichtet aus Peking.

Im Rahmen der Podcast- und Video-Reihe ÖW Global sprechen wir mit Expertinnen und Experten aus dem weltweiten ÖW-Netzwerk. Diesmal berichtet Emanuel Lehner-Telič über „Die neue Normalität in China“, wo ein gewisses Maß Normalität eingekehrt, die Nervosität aber immer noch sehr groß ist. Im Podcast hören Sie Lehner-Telič im ausführlichen Gespräch mit Kathrin Loeffel. Das etwas kürzere Video-Interview (unten eingebettet) können Sie alternativ auch nachlesen.

Wie sieht derzeit die Situation in China aus? Wie geht die Bevölkerung mit der neuen Normalität um?

Emanuel Lehner-Telič: Ich hoffe nicht, dass das wirklich schon die endgültige neue Normalität ist, sondern nur eine vorübergehende Normalität. Oberflächlich ist in China mittlerweile wieder vieles zur Alltagsroutine zurückgekehrt. Allerdings merkt man allerorts, dass die Krise noch lange nicht vorüber ist. An jedem Haus- und Restauranteingang wird Fieber gemessen. Man kann im Prinzip nur am öffentlichen Leben teilnehmen, wenn man in der Gesundheits-App grün markiert ist.

Wenn die App grün ist, bedeutet das, dass man in letzter Zeit nicht in Kontakt mit einem möglichen Infizierten war beziehungsweise, dass man sich in Quarantäne begeben hat und bereits lange genug in Peking ist. Es gibt auf der einen Seite die klassische App, die man vorzeigt, wie einen Ausweis. Daneben gibt es noch eine andere Datenabfrage, die beispielsweise zum Einsatz kommt, wenn man ein Restaurant besuchen möchte. Hier gibt man in einer App seine Telefonnummer an, welche dann zum Provider geschickt wird, der weiß, wo man sich in den letzten zwei Wochen aufgehalten hat. In Sekundenschnelle kommt dann die Freigabe und die Bestätigung: „Ja, dieser Mensch ist in den letzten zwei Wochen in Peking gewesen und somit sicher.“

Es gibt überall große Sicherheitsmaßnahmen beim Eintreten in Wohngebäude oder -blocks. Die Krise ist im täglichen Leben noch stark präsent. Generell fällt mir auf, dass wenige Menschen auf den Straßen sind. Einige Menschen, die seit Beginn der Krise hier sind, meinen zwar, dass es mittlerweile viele sind. Aber im Vergleich zu vorher sind es nach wie vor wenige. Das merkt man auch im Straßenverkehr. Zwar sind zu den Stoßzeiten die ersten Staus wieder sichtbar, aber untertags ist nach wie vor relativ wenig los. Soweit wir das einschätzen können, haben die Menschen sehr viel Angst auf die Straße zu gehen. Sie sind unsicher, wie stark das Virus noch ausgeprägt ist. Obwohl statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, an dem Virus in Peking zu erkranken, mittlerweile sehr gering ist.

Wie geht es den Reiseveranstaltern? Wie bewältigen sie die Krise?

Viele hatten vor der Krise schon massive Liquiditätsprobleme und konnten teilweise ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen. Eine Marktbereinigung war überfällig und jetzt mit der Krise hat sich diese Tendenz natürlich verstärkt.

Bei vielen ist Kurzarbeit ausgerufen worden, unbezahlter Urlaub muss genommen werden und es ist nur ein kleiner Teil der Belegschaft im Büro. Man möchte natürlich möglichst viele Arbeitnehmer im Unternehmen halten und den Kontakt zu seinen Kunden nicht verlieren. Einige der neuen Ideen konzentrieren sich darauf, Lebensmittel in Online-Shops zu verkaufen. Es gibt Reiseveranstalter, die zum Beispiel Pilze aus der sehr bekannten chinesischen Provinz Yunnan anbieten. Einige Veranstalter verkaufen Arzneimittel aus Deutschland oder lebendige Hühner.

Das mag im ersten Moment sehr lustig klingen, hat aber einfach den Hintergrund, dass Reiseveranstalter und Reisebüros großes Vertrauen bei ihren Kunden genießen. Im Moment ist Kochen daheim groß im Trend, weil man sich nicht nach draußen traut. Daher sind Hühner auch nachgefragt. Arzneimittel aus Deutschland haben ohnehin einen guten Ruf und Reiseveranstaltern wird zugetraut, diese Produkte sicher nach China und gut an den Mann zu bringen.

Gibt es staatliche Subventionen für die chinesische Tourismusbranche?

In China haben die meisten Unternehmen ohnehin einen Staatsbezug. Entweder sind sie staatlich oder gehören zu einem staatsnahen Konzern. In irgendeiner Weise sind hier eigentlich alle Unternehmen mit dem Staat oder der Partei verbunden. Deswegen ist es auch schwer zu eruieren, ob es hier wirklich Förderungen gibt. Unserer Meinung nach deutet vieles auf eine Marktbereinigung hin, also dürfte es keine direkten Subventionen geben.

Man muss auch sagen, dass der Tourismus in dieser Krise sicher keine übergeordnete Rolle einnimmt. Es geht in erster Linie darum, die Krankheit aus dem Land zu verdrängen, Arbeitsplätze zu sichern und den Wohlstand, den man in den letzten 25 Jahren geschaffen hat, zu erhalten. Der Tourismus spielt im Konsum eine gewisse Rolle und gilt bei vielen Menschen als unverzichtbar, ist aber sicher kein vordergründiger Aspekt der staatlichen Lenkung oder Rettung der diversen Branchen.

Hat die Krise die Reiselust der Chinesen dauerhaft verändert?

Ich glaube, dass es da zu einem sehr starken Wandel kommen wird. Es ist kaum denkbar, dass es in Zukunft Gruppenreisen in dem Ausmaß wie vor der Krise geben wird. Man kann sich schwer vorstellen, dass 50 Menschen dicht gedrängt in einem Bus oder in der Economy Class sitzen, oder eventuell eng beieinander durch einen Ort oder zu einer Veranstaltung gehen. Da wird sich sicher vieles ändern.

Ich glaube, dass das Sicherheitsbedürfnis der chinesischen Reisenden steigen wird. Man wird sich genau erkundigen, wie die Bekämpfung des Virus in der Destination vonstattengegangen ist. Man wird Aspekte wie das Maskentragen von Angestellten, die Verfügbarkeit von Handdesinfektionsmitteln und die Möglichkeit, sich Essen auf das Zimmer bringen zu lassen, ins Auge fassen. Diese Aspekte werden sicher eine übergeordnete Rolle spielen.

Wir sind gerade dabei, dem auf den Grund zu gehen und zu versuchen, die Customer Journey der Zukunft nachzuzeichnen. Es ist davon auszugehen, dass die digitalen und sozialen Medien weiter an Gewicht gewinnen. Gerade jetzt, da es der Reiseindustrie schlechter geht. Man wird Information und Inspiration verstärkt von Social Media beziehen.

Wie wird Österreich in China derzeit wahrgenommen?

Ich glaube, die Wahrnehmung der Maßnahmen in Österreich ist hier eine sehr positive. Die frühen und strengen Maßnahmen gegen das Virus wurden medial verbreitet und zur Kenntnis genommen. Es wird auch berichtet, dass Österreich stufenweise Lockerungen einleitet und man vermittelt, dass Österreich einen sehr guten Plan zur Bekämpfung des Virus hat. Ich denke, dass uns das in Summe sehr gut in die Karten spielen wird.