Mit Hausverstand gegen die Krise

Mit Hausverstand gegen die Krise

Oder „Ist es gefährlich, in Kiew auf die Straße zu gehen?“

Auch Jahre nach der „orangenen Revolution“ gehören Fragen wie diese oft dazu, wenn sich das Gespräch mit österreichischen Geschäftspartnern um die Ukraine dreht. Und das, obwohl die Ereignisse auf dem Majdan im Zentrum Kiews längst Geschichte sind.

Auf den Straßen ist der Alltag eingekehrt. Aufgrund der Unruhen in den an Russland grenzenden Teilen des Landes hat sich die Geschäftselite nach Kiew verlagert. In dem Konflikt, der im Osten des Landes offen ausgetragen wurde und wird und dort auch seine Spuren hinterlassen hat, gehört die ukrainische Hauptstadt paradoxerweise zu den Gewinnern.

Präsent ist das Zerwürfnis nach wie vor in den Medien. Egal ob in russischen oder ukrainischen Sendern – Informationen werden kaum vermittelt, plumpe Propaganda steht im Mittelpunkt. Man hat den Eindruck, die Spannungen werden von offizieller Seite in beiden Staaten geradezu hochgehalten: Verunsicherung als Lenkrad der Politik, verbreitet und gefördert von den Medien.

Wirken sich die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland auf den Tourismus aus? Worauf sollte man achten, wenn in Kiew um Touristen geworben wird?

In Gesprächen mit Partnern am Markt steht oft der Frust über die einseitige mediale Berichterstattung im Mittelpunkt. „In der letzten Zeit wird uns suggeriert, dass unsere beiden Staaten mehr trennt als verbindet. Dabei haben wir lange Seite an Seite zusammengelebt – gewisse Vorurteile zwischen Russen und Ukrainern hat es immer schon gegeben, aber sie waren kein Hindernis“, sagt Alexander, Inhaber einer Werbeagentur in Kiew, der auch im Tourismusmarketing aktiv ist. „Als ich geboren wurde, gab es nur einen Staat – die Sowjetunion. Alle sprachen Russisch miteinander. Warum sollten uns die vielen Gemeinsamkeiten, die es zwischen uns gibt, nicht als gute Basis für Geschäfte miteinander dienen? Viele Ukrainer haben auch Verwandte in Russland – und umgekehrt. Warum erschwert man uns das Reisen?“

Tatsächlich gibt es nach wie vor keine Direktflüge zwischen Russland und der Ukraine. Umsteigen in Minsk, Warschau, Chisinau und anderen Städten ist angesagt. Auch die Transitflughäfen profitieren von der Krise. Zahlreiche europäische Destinationen verzeichneten nach dem Fall der Visumspflicht geradezu einen Boom an Gästen aus der Ukraine. Auch in Österreich gab es 420.000 Nächtigungen vergangenes Jahr einen neuen Rekord.

Gut beraten sind in der jetzigen Situation all jene, die sich der zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen der Ukraine und Russland bewusst sind und gleichzeitig Verständnis und Respekt für die Unterschiede beweisen. Bedürfnisse und Sehnsüchte der Zielgruppen in beiden Ländern sind sehr ähnlich – auch beim Thema Urlaub. Den meisten Geschäftsleuten in Kiew ist es nach wie vor lieber, Russisch statt Englisch zu sprechen – andererseits können ausländische Firmen mit schriftlichen Unterlagen in Ukrainisch ihre Aufgeschlossenheit gegenüber den Veränderungen zeigen. „Wir sollten uns nicht von der Politik vorgeben lassen, wie wir miteinander umgehen und arbeiten, sondern von unserem Hausverstand“, so der Geschäftsmann weiter. Hausverstand im Großen und im Kleinen – ein legitimes Mittel, um auch in Zeiten der Veränderung zu bestehen… 

Ein Beitrag von Gerald Böhm, Markt Manager Russische Föderation und Ukraine