Digitaler Wandel in Rumänien

Digitaler Wandel in Rumänien – Ausschnitte einer lebendigen Geschichte

Ein Beitrag von Fabio Gerhold, ÖW Rumänien

Rumänien ist voller Gegensätze.

Auch nach zwei Jahren hier ist dieser Satz nicht zur Plattitüde verkommen, sondern täglich verstehe ich mehr über die enorme kulturelle, wirtschaftliche und soziale Diversität des Landes. Heute beschäftigt mich die Medienlandschaft, deren Konturen wir anhand von zwei wichtigen Persönlichkeiten erkunden, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten.

Zuerst treffen wir Andreea Esca.

Sie ist Journalistin im klassischen Sinne, seit über 20 Jahren Fernsehsprecherin mit Universitätsausbildung und Erfahrungen bei CNN. Als erste Nachrichtensprecherin steht sie für den Anfang des nicht-staatlichen Fernsehens in Rumänien und ist seit den 90er Jahren das bekannteste Gesicht von PRO TV - auch heute noch der wichtigste TV Kanal des Landes.

Für die ältere Generation ist der Fernseher - und damit Andreea Esca - ein fester Bestandteil des Lebens. Man ist gewohnt den Fernseher fast ständig laufen zu lassen. Laut Media Fact Book circa 6 Stunden pro Tag. Ja sogar die Revolution 1989 wurde live im Fernsehen übertragen und viele Zuseher genießen durch Fernseher in allen Räumen der Wohnung die Berieselung durch die 7501 Fernsehsender und 633 Radiokanäle. Das spiegelt sich auch in einem der im CEE Vergleich höchsten Marktanteile des Fernsehens in den Werbeausgaben von 65 Prozent wider (MFB).

Auf der anderen Seite stehen die Jungen, deren Interesse fürs Fernsehen und andere traditionelle Medien schwindet. Das wird kompensiert durch die hohe Nutzung von mobilen Internetdiensten. Die Jungen beziehen fast alle Informationen online. Lokale Agenturen beziffern den Digitalanteil in ihrem Medienmix mit 19 Prozent - Tendenz steigend. Dabei bleibt nur ein verschwindender Anteil für die anderen traditionellen Medien, und das Wachstum im Onlinehandel verstärkt diese Tendenz.

Andreea Esca


In dieser Generation ist es nicht mehr selbstverständlich, dass man Frau Esca kennt, aber einen kennen sie alle:

Selly, das Internetphänomen Rumäniens 2019 schlechthin.

18 Jahre jung. Beruf? Vlogger. Auf seinem Kanal findet man eine Serie populärer Youtubeformate mit Aufrufen in den Millionen. Hallenges und Reaktionen sowie Lieder, die er mit der Gruppe 5Gang aufnimmt, aber auch Kommentare zu tagespolitischen Themen sind dabei.

Er legt Wert darauf zu betonen, wie hart er dafür gearbeitet hat seine über 2 Millionen Youtube Subscriber zu erreichen, und wer ihn sprechen hört merkt sofort, wie viel Intelligenz und Hingebung dahinter steht. Das hat ihm dieses Jahr auch die Aufmerksamkeit der traditionellen Medien eingebracht. Er war auf dem Cover der Zeitschrift Capital, wurde von Forbes als einer der wichtigsten 30 unter 30 bezeichnet und selbst die Qualitätszeitschrift DoR widmete ihm einen langen Featureartikel.

Youtube-Kanal 5GANG


Auch Andreea Esca hat längst verstanden, dass die digitalen Medien heute den Ton angeben. Sie und ihre Tochter arbeiten hart an ihrer Präsenz in den sozialen Medien, aber ohne die klassischen Medien aufgeben zu wollen. Seit 2016 gibt sie viermal im Jahr die Zeitschrift Alist Magazine im Großformat heraus, das gratis in schicken Läden und Orten der Stadt verteilt wird. Dahinter stehen Partnerschaften mit vielen großen Brands. Doch auf der Webseite findet man Kollaborationen mit Influencern, Youtube Videos und Modeblogs, denn eine Journalistin wie Andreea Esca weiß ganz genau, dass das Spiel mit den Medien ohne soziale Medien nicht mehr zu gewinnen ist - egal in welcher Branche.

Die Grenzen verschwimmen also. Youtuber landen in der Zeitung und selbst für Fernsehstars sind die Sozialen Medien unersetzbar. Für Werbetreibende hat sich die Frage nach “entweder, oder” erübrigt, denn die Glaubwürdigkeit der klassischen Medien ergänzt sich mit der Reichweite und den innovativen Formaten der digitalen Revolution.