Digitales China

Digitales China

Hinter den Kulissen von Alibaba, Tencent & Co: Wo uns die Big Player in China mit ihren digitalen Ökosystemen voraus sind und was das für den Tourismus in Österreich bedeutet.

Die Zugtickets sind gebucht, der Tisch fürs Mittagessen reserviert, die Konzertkarten bezahlt und die Rechnung fürs Frühstück wurde mit den Mitreisenden geteilt – ein paar Mal über das Handy wischen, alles in nur einer App, und schon sind die wichtigsten Reisehandlungen erledigt. Was hierzulande so noch kaum funktioniert, ist in China längst Alltag. Die dazugehörigen Dienste heißen WeChat Pay und Alipay – immerhin 1,1 der rund 1,4 Milliarden Chinesen haben sie installiert und organisieren Einkäufe, Buchungen, Unterhaltungen, ja, sogar die freundliche Spende für den Straßenmusiker per Fingerkuppe und QR-Code.

„Die Entwicklung im digitalen Bereich geht hier rasend schnell“, weiß auch Emanuel Lehner-Telič, der die Digitalisierung als Region Manager der Österreich Werbung für Asien in den vergangenen drei Jahren live vor Ort miterlebt hat: „Man kann die Dynamik und die Bewegung förmlich spüren.“ Und die mobilen Services werden mittlerweile so selbstverständlich genutzt, dass chinesische Gäste auch im Ausland nicht mehr darauf verzichten wollen.

Das digitale Geschäft

Die wichtigsten Player am digitalen Markt sind dabei aber nicht Facebook, Google & Co. Firmen wie Tencent und Alibaba sind in Europa zwar noch weitestgehend unbekannt, dominieren aber den chinesischen Markt und gehören allein damit zu den acht mächtigsten Internetfirmen weltweit. Tencent ist unter anderem für seinen Messengerdienst WeChat bekannt. Anders als etwa WhatsApp ist WeChat nicht nur eine reine Messenger-App, sondern eng mit dem Alltag der Chinesen verflochten.

So lassen sich mittels App Rechnungen bezahlen oder Arzttermine vereinbaren, genauso wie Reiserouten planen und Hotels buchen. Alibaba hingegen, in erster Linie als Onlinehändler bekannt, ist eine Art chinesisches Pendant zu Amazon. Neben dem Verkauf von Gütern besteht das Geschäft auch aus digitaler Werbung, Streaming- und Cloud-Diensten, Auto-Navigation-Systemen und vielem mehr.
2011 launchte Alibaba das Service Alipay und wurde damit zum Vorreiter in Sachen Mobile Payment.

Die chinesische Bevölkerung nahm die mobile Bezahlmöglichkeit so gut an, dass WeChat 2014 das Konkurrenzprodukt WeChat Pay auf den Markt brachte. Dabei gelang ein großer Marketingcoup: Mit der Anwendung „Red Envelope“ machte es der Anbieter nämlich möglich die chinesische Tradition zu besonderen Anlässen rote Umschläge mit Geld zu verschenken, bequem auf dem Handy weiterführen zu können. Ein Riesenerfolg, der in kürzester Zeit eine große Menge an Nutzern dazu brachte ihren WeChat Account mit ihrem Bankkonto zu verbinden.

„Damit gelang die Digitalisierung eines jahrhunderalten Rituals“, weiß auch Reinhard Lanner, der als CDO der Österreich Werbung auch die Netzwerkinitiative Next Level Tourism Austria und Mitte 2019 zu Recherchezwecken an der Zukunftsreise China der Außenwirtschaft Austria und der ÖW teilnahm. „2016 wurden bereits 32 Milliarden solcher Umschläge verschenkt.“ Alibaba kopierte die Idee und 2017 verzeichneten beide Plattformen gemeinsam rund 100 Milliarden digitale Transaktionen mit Red Envelopes. Heute hat die überwiegende Mehrheit der Chinesen beide Apps auf dem Handy installiert.

Lächeln, um zu bezahlen

Im Alltag sieht das dann also in etwa so aus: Selbst kleinste Transaktionen werden ohne Bargeld abgeschlossen. Ob das Kilo Äpfel am Markt oder das Sandwich zu Mittag – Händler stellen einen QR-Code zur Verfügung, den der Käufer mit seinem Smartphone scannt. Oder der Kunde präsentiert seinen persönlichen QR-Code. Anschließend muss er die Transaktion nur mehr bestätigen. Selbst Bedürftige von Shanghai bis Peking halten meist ein Schild mit QR-Code in die Höhe. Alipay führte darüber hinaus kürzlich die Funktion „Smile to Pay“ ein – Bezahlvorgänge werden dabei mit einem Lächeln in die Handykamera abgeschlossen, die Gesichtserkennung fungiert als Bestätigung.
Sachertorte per

QR-Code

Aber was bedeutet diese Entwicklung nun eigentlich für den europäischen Markt? Fest steht: Der Anteil chinesischer Reisende spielt eine wichtige Rolle für den heimischen Tourismus. Denn das wirtschaftliche Wachstum in China entwickelt sich rasant. Immer mehr Chinesen können und wollen es sich leisten die Welt zu bereisen – am liebsten zu ihren gewohnten Konditionen. Die Möglichkeit bargeldlos mit dem Smartphone zu bezahlen, ist da essentiell. Daher versuchen immer mehr Tourismusbetriebe – darunter etwa auch die Swarovski Kristallwelten oder das Hotel Sacher – ihren chinesischen Kunden das bequeme Mobile Payment zu ermöglichen. Zahlungsdienstleister wie Wirecard oder Bluecode fungieren dabei als Schnittstelle zwischen österreichischen und chinesischen Bezahlsystemen und übernehmen den Zahlungsintegrations- und -abwicklungsprozess.

Roland Toch, Geschäftsführer von Wirecard, prognostiziert Unternehmen, die ins Mobile Payment einsteigen dann auch eine enorme Steigerung der Umstätze: „Die Implementierung von Alipay und WeChat Pay ermöglicht den Händlern den Einkaufsprozess für die chinesische Zielgruppe deutlich zu erleichtern und ihr ein herausragendes Shopping-Erlebnis zu bieten.“ Was fast automatisch zu höheren Ausgaben innerhalb der Zielgruppe führt. „Wir konnten in den letzten Jahren ein Wachstum im zwei- und drei-stelligen Bereich feststellen, sowohl bei der Anzahl der Händler als auch beim Transaktionsvolumen für Alipay und WeChat Pay in Europa. Und der Markt der chinesischen Reisenden bietet noch viel Umsatzsteigerungspotenzial für europäische Händler“, ist Toch überzeugt.

Mit dem Handy in Schönbrunn

Mit den passenden Bezahlmethoden ist das Potential, dass der Erfolg der digitalen, chinesischen Dienste auch in Europa eröffnet, aber längst nicht ausgeschöpft. Angesichts der Möglichkeiten hat man auch bei Wirecard das Geschäftsfeld weiter ausgebaut: „Neben dem Mobile Payment bieten wir unseren Händlern auch Marketing-Möglichkeiten via Alipay und WeChat Pay an, damit das Marketing direkt auf Chinesisch in der App platziert wird und gezielte Werbeaktionen angeboten werden können“, so Toch. So können sich Unternehmen nicht erst vor Ort in Österreich, sondern schon in China präsentieren und potentielle Gäste vor Reiseantritt ansprechen – das ist Marketing nach chinesischen Spielregeln.

Ein Unternehmen, dass sein Angebot in diese Richtung gerade weiter ausgebaut hat, ist das Schloss Schönbrunn. Gemeinsam mit dem Zoo Schönbrunn wurde ein WeChat-Account eingerichtet. Florian Felder, der die Digitalisierungsagenden von Schönbrunn leitet, erzählt: „Grundsätzlich war unsere Überlegung für unsere chinesischen Gäste auch digital ein Angebot zu schaffen. Es gibt viele Plattformen, die sich dafür anbieten, auch spezielle Reiseportale. Aber WeChat ist einfach mehr – es ist im Grunde das chinesische Internet.“

Gemeinsam mit der Österreich Werbung entwickelte man also ein Mini-Program: „Das ist eine Art Homepage. Dort präsentieren wir in erster Linie statische Inhalte, damit sich Reisende vorab informieren können. Eine Kauf- und Bezahlfunktion soll bald dazukommen“, so Felder. Und weiter: „Vor allem im B2B Bereich können wir bereits jetzt, nur wenige Monate nach Launch, eine große Entlastung für unsere Reservierungsabteilung feststellen. Bisher war die Kommunikation mit chinesischen Reiseorganisationen aufgrund der Sprachbarriere nämlich gar nicht so einfach.“ Dabei hört die Nutzung der Tausendsassa-App mit der Einreise nach Österreich natürlich nicht auf. Felder: „Die Gäste nutzen WeChat selbstverständlich auch bei uns vor Ort. Wenn dann in Schönbrunn Fotos gemacht werden, auf denen unsere WeChat-Seite getaggt wird, diese wiederum mit Freunden geteilt werden, multipliziert sich die Wirkung automatisch. Eine normale Website könnte das nie leisten.“

Suchen und buchen

Einen Auftritt auf WeChat zu kreieren, erfordert allerdings ein gewisses Knowhow – etwa chinesische Sprachkenntnisse, ebenso wie ein gewisses Verständnis dafür, wie digitales Marketing in China funktioniert. Wer einen unkomplizierteren Zugang auf den Markt sucht, könnte mit einer Präsenz auf einer chinesischen Buchungsplattform richtig beraten sein. Das führende chinesische Buchungsportal ist dabei Ctrip. Anders als Expedia oder Booking.com konzentriert sich Ctrip dabei nicht allein auf die Vermittlung von Unterkünften und Flügen, sondern positioniert sich als Schnittstelle für so gut wie alle Dienstleistungen, die für Reisende attraktiv sein könnten. Und das geht vom Zimmer bis zur Versicherung, vom Visum bis zum Busticket, vom Restaurant bis zum Event.

„Aus unserer Sicht macht es auf jeden Fall Sinn, sich auf einer solchen Plattform zu präsentieren und ein buchbares Produkt – egal ob Hotel, Package oder „thing-to-do“ – zu vermarkten“, sagt auch Emanuel Lehner-Telič und rät bei Interesse einfach direkt mit den Plattformen Kontakt aufzunehmen. Helga Freund, Geschäftsführerin von Eurotours, schätzt das ganz ähnlich ein: „In China wird fast gar nichts mehr offline gebucht. Deswegen ist es für die österreichische Hotellerie besonders wichtig über bestimmte Interfaces direkt mit den chinesischen Kunden verbunden zu sein.“ So könne man sich auch besser an Individualtouristen wenden. Denn: „Im Bereich Gruppenreisen machen wir schon vieles richtig“, so Patricio Hetfleisch von Tirol Werbung. „Aber die Bevölkerng Chinas ist viel diverser als wir das per se annehmen und der Markt der Individualtouristen boomt. Nun müssen wir einfach viel gezielter Inhalte für junge, moderne Chinesen schaffen, die die Welt auf eigene Faust entdecken wollen.“

Service ohne Mitarbeiter?

Die enorme Wirkkraft digitaler Lösungen in China ist beeindruckend. Und dennoch löst so manches Gegenwartsszenario bei genauerer Betrachtung durchaus auch Beklemmungen aus. So scheinen Innovationen, wie computergestützte Restaurants, die dank Fließband, QR-Codes & Co ganz ohne Servicemitarbeiter auskommen für den europäisch geprägten Konsumenten wenig erstrebenswert. Und auch der Cocktailroboter, der dem Hotelgast zwar präzise gemixte Drinks serviert, dem dabei für smarte Konversationen allerdings die Worte fehlen, wäre hierzulande undenkbar. Denn der persönliche Kontakt und die Gastfreundschaft, für die Österreich weltbekannt ist, das lässt sich am Ende dann doch nicht digitalisieren.