ÖW Global: Gesellschaft mit Corona

Gesellschaft mit Corona

Die Auswirkungen der Coronakrise auf Wirtschaft, Einstellung, Freizeitgestaltung, Digitalisierung und den anstehenden Urlaub

Wirtschaft

Das Bruttoinlandsprodukt ist weltweit um 4,4 % gesunken. (Die letzte „Weltwirtschaftskrise“ um 2008 verursachte ein Minus von 0,07 %.) Das große Problem wird auch in der nächsten Zeit die gestiegene Arbeitslosigkeit sein.

2020 wurden kaum Reisen unternommen, kaum Restaurants besucht, Konsumausgaben zurückgefahren. Diejenigen, die ihre Arbeit behalten haben, sparten also. Die Sparquoten sind somit stark angestiegen. In den USA liegt die Sparquote 2020 prognostiziert bei über 25 %, in Deutschland laut Prognosen der OECD bei über 20 %.

Ausgangslage

Die zweite Welle der Pandemie war wie erwartet weit stärker als die erste und wurde trotzdem in ihrer Heftigkeit von vielen unterschätzt. Zur erhofften Impfung, die nun möglich ist, kam fast zeitgleich die stärker ansteckende Mutation des COVID-19 Virus auf. Die ersehnte Entspannung der Lage ist somit immer noch nicht eingetreten.Wir befinden uns aktuell in der dritten Welle. Die Menschen sehen sich seit über einem Jahr ständigen Unsicherheiten gegenüber, vermissen die Planbarkeit des Lebens aufgrund der sich kontinuierlich ändernden Rahmenbedingungen.

Die Pandemie wirkte in so gut wie allen Bereich des Lebens als Beschleuniger, manche sagen auch Brandbeschleuniger: Ungleichheiten in Systemen wurden stärker wahrgenommen, genauso wie schwache Bildungssysteme, überstrapazierte Gesundheitssysteme, häusliche Gewalt. Für viele zeigten sich die Schattenseiten der Globalisierung (ungleiche Verteilung, starke Abhängigkeit durch ausgelagerte Produktion, lange Lieferwege, ungünstige Verteilung der Produktionsstandorte). Auch in den Privathaushalten herrschte teilweise Krisenstimmung: alte Gender-Machtverhältnisse wurden wie selbstverständlich gelebt, Frauen fanden sich wieder in der Küche, die Kinder beim Homeschooling unterstützend; die Spaltung zwischen arm und reich verschärfte sich, die Einsamkeit wurde eines der beherrschenden Themen.

Andererseits wird durch Krisen, und so auch durch Epidemien, immer wieder die Modernisierung vorangetrieben, es entstehen neue Techniken, es werden neue Kooperationsmöglichkeiten ausprobiert.

Gesellschaft

Die Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Pandemie ergriffen wurden, hatten massive Auswirkungen auf die Menschen. Waren in der ersten Welle Solidarität, Unterstützung und Empathie das Gebot der Stunde, allerorts merkbar durch Applaus für Angehörige der Pflegeberufe, Teddybären im Fenster für Kinder, um ihnen das Spazierengehen schmackhafter zu machen und eine erhöhte Bereitschaft, den Nachbarn zu helfen, so blieb in der Laufe der zweiten Welle wenig davon übrig.

Im Gegenteil - man konnte in einer Untersuchung mit 8.000 Befragten in Österreich und Deutschland feststellen, dass die Solidarität, Loyalität und Nachbarschaftshilfe im Vergleich zum April 2020 inzwischen stark abgenommen haben. Und dass, obwohl den Österreichern als auch den Deutschen eine hohe Resilienz bzgl. dem Umgang mit den Lockdowns konstatiert wird. Zunehmend werden auch die Folgen der lang andauernden Isolierung von anderen Menschen spürbar. Auch die Unmöglichkeit, die Situation zu beeinflussen, die Kontrolle über weite Bereiche seines Lebens wiederzuerlangen, die Unsicherheit schlagen sich in der psychischen Verfasstheit der Menschen nieder. Die Belastungsfaktoren stiegen also bisher zunehmend und das Ende der Krise ist noch nicht wirklich (be)greifbar. Diese Gemengelage erzeugt bei etlichen chronischen Stress bzw. Gefühle der Einsamkeit und ist für Schlafstörungen, (auch überwunden geglaubte) Ängste, depressive Verstimmungen, Grübeln verantwortlich. Eine gewisse Reaktanz, also ein innerer Widerstand gegen die Einschränkungen der Handlungsfreiheit durch Verbote, fördert zusätzlich noch sozial unverträgliches Verhalten. Die Erfahrung des Verlustes, die es schon vorher gab, ist jetzt nahezu omnipräsent.

All diese Erfahrungen werden auch nach Abklingen der Pandemie Auswirkungen haben.

Das brachte viele auch zum Nachdenken. Post-Wachstums-Paradigmen, minimalistische Lebensentwürfe („Ausmisten“), Wichtigkeit von Gesundheit, nachhaltige Kaufentscheidungen, regionale Präferenzen bei Käufen und Urlauben, Achtsamkeit der Umwelt und dem Umfeld gegenüber und ein holistisches, sprich ganzheitliches Denken sowie eine ganzheitliche Sicht auf die Welt sind Folgen davon.

Digitalisierung

Die Digitalisierung erfuhr einen extremen Boost.

Selbst Menschen, die sich zuvor nicht dafür interessierten, wurden zu versierten Zoomern, Houseparty-Besuchern und E-Commerce Teilnehmern. Diese aus der Not entstandenen Erfahrungen haben die Hemmschwelle vor „Digitalem“ im privaten Bereich für die Zukunft extrem gesenkt. Das „Leben“ wurde kurzerhand ins Netz verlagert. Die Sehnsucht nach Kontakt, Austausch und zwischenmenschlichem Verständnis war größer als der Respekt oder die Abneigung vor dem digitalen Unbekannten. So wurde auch die Grundidee der sozialen Netze gelebt und die Menschen konnten in Verbindung treten. Sprich, die Digitalisierung wurde zur Vereinfachung des Kontakthaltens herangezogen.

Auch im beruflichen Kontext wurde vieles möglich und wird, wenngleich nicht in diesem Ausmaß, bleiben (Videocalls, Online-Besprechungen, Homeoffice, hybride Konferenzen und Veranstaltungen). Die Präsenzkultur wird also mittlerweile in Frage gestellt. Diese Art zu arbeiten (New Work) verlangt allerdings auch ein höheres Maß an Selbstverantwortung, das bei manchen Menschen wiederum Stress erzeugt.

Der Geschäftstourismus wird wohl langfristig nur noch in einem reduzierten Ausmaß stattfinden, da die Alternativen nun erprobt werden konnten.

Im Zahlungsverkehr haben kontaktlose Zahlungsmethoden Hochkonjunktur, selbst in einem selbsterklärtem Barzahler-Land wie Österreich. Und nicht nur Bitcoins, sondern auch viele andere Kryptowährungen erleben einen Aufschwung in bisher unbekannte Höhen. Ob es einen digitalen Euro geben wird, werden wir Mitte 2021 von der Europäischen Zentralbank erfahren.

Die Kehrseite davon ist, dass Bildungseliten sich mittlerweile von den „Big Socials“ teilweise abwenden. Die Polarisierung, die in den sozialen Medien extrem zutage trat und die damit verbundenen Antidemokratisierungstendenzen im Netz schrecken sie ab. Die Gen Z, Digital Natives gehen bewusster mit den Medien um und verlagern ihre Aktivitäten in kleinere, geschlossene Räume (digital Campfires).

Natur/Nachhaltigkeit

Natur war immer schon eines der stärksten Reisemotive. In der Pandemie, als den Menschen nur noch wenige Freizeitbeschäftigungen blieben, erfuhr Natur und die Bewegung in der Natur eine weitere Bedeutungssteigerung. In Zeiten der Unsicherheit entstand so eine noch stärkere Natursehnsucht. Selbst bei den klassischen Kulturreisenden kann man davon ausgehen, dass auch sie den Aufenthalt in der Natur mehr zu schätzen gelernt haben.

Im Alltag merkte man diese Naturverbundenheit an der stark gestiegenen Nachfrage nach Wochenendhäusern im Grünen (Flucht aus der eng besiedelten Stadt) und der Nachfrage nach Haustieren, wobei besonders Hunde begehrt waren. Sowohl der Rückzug ins Grüne als auch in der Verbindung mit Hunden/Haustieren erleben die Menschen eine Nähe zur Natur.

Dazu kommt noch die schon vor der Krise wieder aufgeflammte Klima- und Nachhaltigkeitsthematik. Ursprünglich hätte man annehmen können, dass Themen wie Klima und Umwelt in Anbetracht der Pandemie in den Hintergrund treten. Doch so war es nicht und das Klima scheint momentan das nächste große Thema nach Bewältigung der momentanen Krise zu werden. Aufgrund der Bewegungseinschränkungen, die als Maßnahmen gesetzt wurden, gingen Schadstoffausstöße, Verschmutzungen, Lärmbelästigungen vor allem während der ersten Welle massiv zurück.

Regierungen investierten schon im Zuge ihrer ersten Hilfspaketen in nachhaltige Projekte und sehen vielerorts den Bereich Klimaschutz auch als neuen Jobmotor. In manchen Ländern gibt es ein Verbot von neuen fossilen Energieprojekten. International tätige Firmen wie Apple, Walmart bekennen sich zu „zero carbon“ Zielen, Ikea versucht mittlerweile auch seine Kunden beim umweltschonenden Leben zu unterstützen.

Kurz gesagt, die Natur an sich wurde zu einem Sehnsuchtsort. Und auch die Menschen selbst mussten begreifen, dass sie die Natur nicht nur von außen betrachten können. Der Mensch ist Teil der Natur, wie auch das Coronavirus Teil der Natur ist.

Im vergangenen Jahr haben wohl auch die eingefleischtesten Couch-Potatos am eigenen Leib erfahren, welche Auswirkungen das Herumlungern auf den Körper und auch auf die Psyche hat. Bewegung an sich bekam einen höheren Stellenwert und wird ihn auch in Zukunft behalten. Im vergangenen Jahr stand neben dem Spazierengehen das Radfahren an vorderster Stelle bei den Aktivitäten. Sogar in Ländern, die Fahrräder sonst kaum nutzten, wurde es in der Freizeit populär. Das heißt nicht, dass in den nächsten Jahren Fernreisende in Österreich Radtouren absolvieren werden, doch ein kleiner Radausflug könnte bei manchen als eine unter vielen Aktivitäten dazu kommen. Outdoor-Aktivitäten versprachen in der Lockdown-Zeit Heilung, Schutz und Sicherheit, was letztlich im Gefühl der Geborgenheit mündet. Das Wandern, das schon in den letzten Jahren wieder sehr gepflogen wurde, wird also weiterhin beliebt bleiben.

Menschen

Wir Menschen waren (und sind) auf uns selbst zurückgeworfen: kaum Treffen mit anderen Menschen, keine Events, keine sonstigen Ablenkungsmöglichkeiten und Netflix & Co mit dem Angebot des Binge-Watchings ist enden wollend interessant. Vieles wurde als selbstverständlich angenommen. Wenn diese Selbstverständlichkeiten allerdings wegfallen, dann führt dies bei vielen zu Traurigkeit.

Als Auflockerung und Ablenkung setzten viele auf lustige Videoclips, Jokes und Memes, die im Netz kursieren. Der zeitweise Fokus auf Humor, Freude, Spaß lenkt viele Menschen von der Schwere der Situation, von der Unsicherheit ab und setzt anstelle dessen Unbeschwertheit.

Zuerst aus Mangel an Freizeitalternativen erfuhr das Kochen, die Auseinandersetzung mit der Ernährung und deren Wirkung auf Geist und Körper, die Herkunft der Lebensmittel und deren Entstehung und Zubereitung eine noch breitere Aufmerksamkeit als dies schon davor der Fall war. Es war eine Möglichkeit den Alltag zu strukturieren. Viele haben sich erst in der Zeit der Pandemie mit dem Kochen auseinandergesetzt, haben kochen gelernt und kaufen regional ein. Auch hier spielt Nachhaltigkeit eine Rolle. Der Fleischkonsum sank, der Absatz von Bioprodukten stieg. Das gemeinsame Essen wurde mehr gepflegt und wohl auch geschätzt. Der Gemeinschaftssinn (gemeinsam eine Krise gemeistert zu haben) und die Erkenntnis, wie wichtig der engste Kreis an Familie, Freunden ist, sind größer geworden und werden dies auch bleiben. Es bleibt also wichtig, auch bei den Unterkunftseinheiten dementsprechende Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Unterkünfte wie Ferienwohnungen und Ferienhäuser für mehrere Menschen werden weiterhin stark nachgefragt werden.

Fazit

Die Menschen sind so „urlaubsreif“ wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Einzig die Pandemie und die dadurch gesetzten Einschränkungen halten sie vom Reisen ab. Diejenigen, die nach wie vor einen Job haben, haben ausreichend Geld gespart und es ist davon auszugehen, dass viele ihre Urlaube nachholen wollen, sobald dies wieder möglich ist. Das heißt, die Reiseintensität wird bei diesen für einige Zeit steigen. Wobei es jene geben wird, die schon beim Fallen der Einschränkungen reisen wollen, während andere noch warten, bis sich auch bei ihnen wieder ein gewisses Sicherheitsgefühl eingestellt hat.

Selbst Reiseveranstalter setzen momentan auf die eigene Anreise, wobei das Auto wieder mehr genutzt wird. Leicht widersprüchlich zur Autoanreise ist der Wunsch, zukünftig verantwortungsvoller zu verreisen. Dennoch ist nachhaltiges Reisen mit einem kleinen Footprint im Bewusstsein der Menschen. Wirkliche Verhaltensänderungen beim Reisen werden allerdings noch eine Zeit brauchen.

Als Reaktion auf die starke Verlagerung des Lebens ins Digitale entstand eine stärkere Sehnsucht nach Natur, Authentizität, nach Analogem sowie nach Einfachheit und Kontrolle im Kleinen. Erholung und Entschleunigung sind wichtig, genauso wie die zwischenmenschlichen Kontakte (z.B. auch zwischen Gast und Gastgeber). Für einen Teil stellen diese Kontakte, bzw. die Möglichkeit dazu, momentan den wahren Luxus dar. Der Mensch steht wieder mehr im Mittelpunkt.