Vom Wert der Wertungen

Vom Wert der Wertungen

Für viele Gäste sind Hotelbewertungen das wichtigste Entscheidungskriterium für ihre Buchung. Ein kluger Umgang mit ihnen bietet den Hotels viele Chancen: Selbst negative Reviews lassen sich für positive Werbebotschaften nutzen. – Ein Beitrag aus bulletin, dem für den Tourismus kostenlosen Fachmagazin der Österreich Werbung.

Da das Hotel mit seinen Mehrbettzimmern sehr attraktiv für größere Familien ist, ging es entsprechend laut zu.“ Dieser Satz stammt aus einer knapp 500 Wörter umfassenden Bewertung, die ein deutscher Gast über seinen Aufenthalt in einem Salzburger Hotel verfasst hat. Drei von fünf Punkten vergab er noch und gab an, sich für seinen nächsten Aufenthalt in der Mozartstadt eine andere Unterkunft zu suchen. Nach der Lektüre einer solchen Bewertung mag die Lust manches Urlaubers an einem Aufenthalt in diesem Haus sinken. Doch sind Bewertungen der alles entscheidende Faktor im Kampf um Urlaubsgäste?

Wichtiges Marketinginstrument

„Sie müssen sich nur selbst beobachten. Ich bin mir sicher, dass auch Sie Bewertungen nicht ignorieren können. Sie sorgen für Vertrauen, und das ist im Moment die wichtigste Währung überhaupt“, meint Alexander Fritsch, einer der beiden Gründer der Servus Tourismuspartner OG. Das Beratungsunternehmen aus Bregenz hat sich voll auf Hotelbewertungen, Online-Reputation und Gästebegeisterung konzentriert. Auch Susanne Kraus-Winkler, Obfrau im Fachverband Hotellerie in der Wirtschaftskammer Österreich betont: „Der Standort, das Angebot, die Verfügbarkeit und der Preis sind wichtig. Aber wenn die Bewertungen schlecht sind, dann zählt alles andere nichts.“ Für Walter Veit, Vizepräsident der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) sind Bewertungen gerade für die Ferienhotellerie eine Möglichkeit, sich voneinander abzuheben. „Viele Häuser bieten Ähnliches und sehen auch von außen nahezu gleich aus.“ Interessierte können anhand der Bewertungen schnell herausfinden, ob ein Haus den eigenen Bedürfnissen entspricht oder nicht. „Wenn z. B. Gäste im Alter zwischen 45 und 55 Jahren ein Hotel gut bewerten, dann liegt der Schluss nahe, dass es sich für Jungfamilien mit Kindern eher weniger eignet“, erklärt Veit.

Kluge Antworten zahlen sich aus

Das Boutique Hotel am Stephansplatz belegt auf der Bewertungsplattform Tripadvisor den zweiten Platz unter den Wiener Hotels. Das Haus legt sehr viel Wert auf Hotelbewertungen und deren Beantwortung, wie Assistant Managerin Marie-Luise Matz betont. „Unserer Erfahrung nach schauen sich Gäste Reaktionen auf ihre Bewertungen sehr genau an“, betont Matz. Ob positiv oder negativ – für viele Gäste spielt die Antwort des Gastgebers eine ebenso wichtige Rolle wie die Bewertung selbst. „Die Energie, die man in kluge Antworten steckt, zahlt sich auf jeden Fall aus“, meint die Managerin. Insgesamt bieten die Reviews sowohl Motivation als auch sinnvolle Verbesserungsvorschläge. Tourismusberater Fritsch geht überhaupt noch einen Schritt weiter und meint: „Bewertungen sind das größte Qualitätsverbesserungsprogramm, das die Hotellerie je gesehen hat.“ Häuser mit keinen oder überwiegend schlechten Bewertungen würden mittelfristig vom Markt verschwinden.

Zufriedene Gäste nicht aktiv

Aber von wem stammen eigentlich die Bewertungen, die über Sein oder Nichtsein von Betrieben entscheiden? „Nach einem starken Start der gängigen Plattformen gibt es aktuell eine Tendenz zu immer weniger Bewertungen“, sagt Kraus-Winkler von der WKÖ. ÖHV-Vizepräsident Veit sieht die Lust der Gäste am Bewerten ebenfalls schwinden: „Nur wenn die erfahrene Leistung vom Erwarteten stark abweicht, werden Bewertungen abgegeben.“ Dies bestätigt auch Thomas Reutterer, Vorstand des Instituts für Service Marketing und Tourismus an der Wirtschaftsuniversität Wien und verweist im Interview unten auf mehrere andere Faktoren, die dabei ebenfalls eine Rolle spielen.

Motivieren lohnt sich

Die Hoteliers sind aber nicht der Lust und Laune ihrer Gäste ausgeliefert, was die Anzahl der erhaltenen Reviews betrifft: „Wir weisen unsere Gäste beim Check-out oder auf der Anmeldeseite zu unserem WLAN unaufdringlich darauf hin, eine Bewertung abzugeben“, berichtet Matz vom Hotel am Stephansplatz. Solche oder ähnliche Aktivitäten zahlen sich aus, wie eine 2018 veröffentlichte Studie des Reputation-Management-Software-Anbieters TrustYou ergab: Wenn Hotels aktiv zum Bewerten motivieren, ist es 3,6 mal wahrscheinlicher, dass die Gäste dies auch tatsächlich tun.
„Gastgeber können auch mit sinnvollen Incentives, wie etwa der Teilnahme an einem Gewinnspiel zu einer Bewertung animieren“, ergänzt Tourismusberater Fritsch. Die Urlauber mit Geschenken oder Rabatten zu positiven Reviews zu drängen, ist hingegen rechtlich bedenklich und verstößt auch gegen die Richtlinien der Bewertungsportale. „Denn wo liegt die Grenze zwischen Animation und Manipulation“, gibt Veit zu bedenken. Er hält es aber für wichtig, alle Bewertungen von Gästen zu beantworten. „Sonst ist der Gast enttäuscht“, so der ÖHV-Vize. Fachverbandsobfrau Kraus-Winkler hält es dagegen lediglich für wichtig, sich der negativen Rückmeldungen anzunehmen. Auf jede positive Bewertung zu antworten, war früher zwar üblich, wird aber heute nicht mehr als sinnvoll erachtet und überfordert viele Betriebe angesichts des herrschenden Mitarbeitermangels.  

Bewertungen aktiv verbessern

Nicht nur die Menge, sondern auch den Anteil guter Bewertungen können Hoteliers durch Marketingmaßnahmen beeinflussen, betont Fritsch von Tourismuspartner. „Bewertungen haben sehr viel mit Erwartungen zu tun. Diese baut ein Gast schon vor dem Check-in auf“, erklärt der Experte. Sie hängen von vielen Faktoren wie der Marke des Hotels, dem Preis, den demo- und psychographischen Merkmalen des Gastes aber auch von den Werbebotschaften des Hotels ab. Wenn ein Haus mit einem menschenleeren Wellnessbereich wirbt, dann ist dem Gast an sich schon klar, dass er eine ähnliche Situation während seines Aufenthaltes kaum vorfinden wird, so Fritsch. Allerdings habe Marketing eben auch sehr viel mit Unterbewusstem zu tun, erklärt der Tourismusberater. Viele Hotels hätten das Problem, dass sie zu hohe Erwartungen erzeugen, weil sie sich positiv gegenüber dem Mitbewerb abheben wollen und mehr versprechen, als sie halten können. Der Gast vergleicht aber während seines Aufenthalts permanent auch seine unterbewussten Erwartungen mit den tatsächlichen Erlebnissen. Wird er enttäuscht, dann kann das in negative Bewertungen münden, schildert Fritsch und resümiert: „Hotels können gute Bewertungen eben nicht nur durch ihre Leistung, sondern auch durch ihr Marketing steuern.“ Er rät Betrieben zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit. „Die Hotels müssen sich noch Spielraum lassen, um die Erwartungen der Gäste zu übertreffen und sie so zu begeistern“, betont Fritsch.

Positive Bewertungen überwiegen

85 bis 86 Prozent aller weltweit abgegebenen Hotelbewertungen fallen positiv aus, das zeigt eine Studie von TrustYou und dem Verband Internet Reisevertrieb aus dem Jahr 2017. Trotzdem werden negative Rückmeldungen im Schnitt 10 mal häufiger gelesen als positive, gibt Fritsch zu bedenken.
Eine negative Bewertung ist freilich noch kein Drama. Was viel wichtiger ist, ist die richtige Reaktion darauf. „Wenn ich zwei Beschwerden über die Reinlichkeit in meinem Haus bekomme, dann weiß ich, dass Handlungsbedarf besteht“, betont Veit. Er rät den Betrieben, den Fehler zu erklären und das Problem zu lösen. „Das wirkt sich dann besonders positiv auf die künftigen Bewertungen dieses Gastes aus“, berichtet der ÖHV-Vizepräsident. In seinem eigenen Haus, dem Hotel Enzian in Obertauern, landen deshalb die Reviews auch in der Gästekartei. „Wenn einem Gast etwa eine Massage zu wenig druckvoll war, dann sprechen wir das bei seinem nächsten Besuch an und sorgen dafür, dass er diesmal zufriedener ist“, gibt Veit ein Beispiel.

Marketing mit negativen Reviews

Beim Beantworten von negativen Rückmeldungen ortet Tourismusberater Fritsch ein häufiges Problem: „Viele Häuser betrachten dies als Teil des Beschwerdemanagements. Antworten auf Reviews sind aber Marketing.“ Denn negative Rückmeldungen und die Reaktion des Betriebs darauf sind vor allem für potenzielle Gäste spannend. „Der Hotelier muss also seine Antwort zwar an den Autor der Bewertung richten, gleichzeitig aber so formulieren, dass sie potenzielle neue Gäste anspricht“, umreißt Fritsch die nicht gerade leichte Übung. Werblich sollte die Antwort allerdings nicht ausfallen, denn das wäre unglaubwürdig.

Keine Angst vor Fake

Vor Bewertungen, die nicht den Tatsachen entsprechen oder gar von Usern stammen, die im jeweiligen Haus gar nicht zu Gast waren, sind Hotels freilich nicht gefeit. Andererseits können sich Hotels mithilfe gefälschter Reviews in einem besseren Licht präsentieren: Dies stellt aber einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dar und ist somit illegal. „Die Online-Portale strafen nachweislich manipulierte Einträge streng ab“, warnt Fritsch. „Alle Fake-Bewertungen schaden natürlich“, meint Fachverbandsobfrau Kraus-Winkler. Der Fachverband hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass Hotels bei den relevanten Bewertungsportalen einen Ansprechpartner für dieses Problem haben. „Tripadvisor war die erste Plattform, die begonnen hat, dieses Problem auch mit Algorithmen zu lösen“, erinnert sich Kraus-Winkler und ergänzt: „Die Plattformen haben erkannt, dass gefälschte Bewertungen auch ihrer eigenen Glaubwürdigkeit schaden.“ Ihrer Einschätzung nach würden heute Fake-Bewertungen kein großes Problem mehr darstellen. „Im Zeitalter von Fake-News weiß der User, dass er vorsichtiger sein muss“, argumentiert Kraus-Winkler.

Die Assistant Managerin des Boutique Hotel am Stephansplatz macht sich über Fakebewertungen kaum Sorgen. „Damit sind wir nur vereinzelt konfrontiert: Etwa wenn ein Gast sehr kurzfristig storniert und wir dann leider nicht die gesamte Buchungssumme rückerstatten können“, erklärt Matz. Das sei in manchen Fällen einfach nicht möglich, obwohl man diesbezüglich sehr kulant ist. „In diesem Zusammenhang bekamen wir schon Drohungen, eine schlechte Bewertung zu erhalten“, erinnert sich Matz. In dieser Situation könne man aber Tripadvisor vorwarnen und solche Meldungen werden dann schnell entfernt. Auch wenn andere Bewertungsplattformen diese Möglichkeit nicht bieten, so können die Gastgeber zumindest auf Reviews antworten: „Bei Meldungen von Usern, die gar nicht Gast des Hauses waren, ist es möglich, in der Antwort darauf hinzuweisen“, erzählt Matz aus der Praxis.

In den Arbeitsalltag integriert

Für die österreichischen Beherbergungsbetriebe gehört das Beobachten und das Beantworten von Bewertungen schon zum Arbeitsalltag, berichtet Kraus-Winkler. Eine Einschätzung, die auch der Tourismusberater Fritsch teilt. Es gebe zwar noch immer Betriebe, die völlig falsch an das Thema herangehen, aber „Beschimpfungen von Gästen, die negative Reviews geschrieben haben, waren vor sechs bis acht Jahren noch häufiger“, so der Experte. Dennoch ortet er selbst in großen Häusern noch viel Luft nach oben. Er rät dazu, aktiv an das Thema Reviews heranzugehen: „Wenn ich meine Gäste zu Bewertungen motiviere und mit negativen Bewertungen richtig umgehe, dann läuft die Sache zu meinen Gunsten.“ Dies zeigt auch die Reaktion des Gastgebers auf die eingangs zitierte Bewertung: Er ging in seiner Antwort auf jeden einzelnen Kritikpunkt ein. Zum Lärm beim Frühstück meinte er, dass Kinder gern gesehene Gäste wären und Familien die dortige Freiheit vielleicht auch positiv fänden. Mit dieser Antwort auf die negative Bewertung hat er in einer anderen wichtigen Zielgruppe ganz gewiss Pluspunkte gesammelt. 

 

Im Interview Univ. Prof. Dr. Thomas Reutterer, Institut für Service Marketing und Tourismus an der WU Wien

bulletin: Wie wichtig sind Hotelbewertungen inzwischen geworden?

Thomas Reutterer: Ihre Bedeutung ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, in der Buchungsphase sind sie ein wichtiger Faktor geworden. Wie eine Studie zeigt, lesen bis zu 90 Prozent der Kunden Bewertungen durch, bevor sie ein Hotel buchen. Die Online-Reviews ersetzen zusehends die Mundpropaganda.

Gilt das für alle Segmente?

Nein, im High-End-Bereich etwa spielen andere Faktoren wie Marke oder  Location eine noch bedeutendere Rolle. Im mittleren und unteren Segment sind Hotelbewertungen aber tatsächlich entscheidend. Wenn ein Kunde ein attraktiv erscheinendes Angebot findet, versucht er mithilfe von Hotelbewertungen eine Fehlentscheidung auszuschließen.

Sind sich die heimischen Hoteliers dieser Bedeutung bewusst?

Gäste geben ihre Bewertungen auf vielen verschiedenen Plattformen ab. Hier als Unternehmen die Übersicht zu behalten, ist nicht leicht. Dem Technologiereport 2020 der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) zufolge nutzen 80 Prozent der Stadt- und 50 Prozent der Ferienhotellerie eine Software, die Bewertungen der unterschiedlichsten Plattformen bündelt. Diese Zahlen sind ein Indikator, dass die Branche die hohe Relevanz von Bewertungen als Marketingtool verstanden hat.

Eine Bewertung bedeutet einen gewissen Aufwand. Welche Gäste machen sich diese Mühe?

Business-Gäste verfassen eher keine Reviews. Hotelbewertungen stammen meist von Urlaubern. Wie die Forschung zeigt, geben vor allem zwei Gruppen Bewertungen ab: Einerseits sind das die Unzufriedenen und andererseits jene, deren Erwartungen die gebotene Leistung übertroffen hat. Alle, für die sich das Gebotene im Rahmen des Erwarteten bewegt hat, äußern sich kaum. Es existieren aber noch viele andere Faktoren, die ausschlaggebend dafür sind, ob Bewertungen verfasst werden, oder nicht. Gemeinsam mit einigen Wiener Hotels erforschen wir das gerade: Dabei hat sich etwa gezeigt, dass z. B. Kunden aus der EU, die weit im Vorhinein gebucht haben, eher dazu bereit sind, Reviews zu verfassen, als Gäste, die sich kurzfristig für einen Aufenthalt entschieden haben. Je höher der Aufwand und damit das soziale Engagement für einen Aufenthalt ist, desto höher ist offenbar die Bereitschaft dazu, eine Bewertung abzugeben.

Welche Plattformen nutzen Kunden für Hotelbewertungen?

Booking.com ist weltweit die Nummer 1, aber Google hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen und ist für viele auch in dieser Hinsicht wichtigste Internet-Schnittstelle. Viele Gäste machen sich nicht die Mühe, einzelne Plattformen zu durchforsten, sondern bleiben auf Google Maps. Dort sind zunächst die vergebenen Sterne ein Entscheidungskriterium und erst danach lesen die User die in der Regel kürzeren Bewertungstexte.

Wie groß ist das Problem mit Fake-Bewertungen?

Dieses Problem betrifft nicht nur Hotels, sondern Bewertungen ganz generell. Dabei geht es nicht nur um den Missbrauch einzelner, die das Hotel gar nicht kennen. Es hat sich ein  regelrechter Markt für Fake-Bewertungen etabliert, die man bei „Agenturen“ bestellen oder von Bots maschinell verfassen lassen kann. Bewerter und Bewertete sind sich dieses Problems zwar bewusst. Es ist aber schwer, Fake-Reviews zu erkennen und auszufiltern. Um die Auswahl schnell einzugrenzen, nutzen viele Gäste zunächst die Gesamtnote als Kriterium. Und diese bezieht eben auch gefälschte Bewertungen mit ein, wenn sie nicht gelöscht werden.