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Reisen ohne Limit

Reisen ohne Limit

Mehr und mehr Menschen werden immer älter, während sich der Begriff „Alter“ neu definiert. Denn die Senioren von heute sind fit, gut informiert und abenteuerlustig – und werden die Zukunft des Reisens wesentlich mitgestalten.

Ein Beitrag aus dem bulletin, Ausgabe Februar/Närz 2017

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Die klassische Dreiteilung des Lebens in Ausbildung, Beruf und Ruhestand gehört der Vergangenheit an. Dafür sorgen die Babyboomer, die Jahr­gänge 1956 bis 1969, die nach und nach das Pensionsalter erreichen: eine geburtenstarke Generation, die so aktiv, gesund und technologieaffin ist wie keine zuvor. Immer mehr Senioren ergreifen im Ruhestand die Chance, ihre Lebensträume zu verwirklichen und die Welt auf individuellen Pfaden zu entdecken. Sie sind aufgeschlossen, engagiert und gut informiert. Außerdem verfügen sie über die finanziellen Mittel, um ihre üppig vorhandene Freizeit auszukosten.

Der Bevölkerung wächst und wird zugleich immer älter. Dies sind laut Statistik Austria die Haupttrends der aktuellen demografischen Entwicklung, die sich auch in Zukunft fortsetzen werden. Der Anteil der Bevölkerung im Pensionsalter, gemessen an der Bevölkerung im Alter von 65 und mehr Jahren, wird weiter wachsen. Die starken Babyboom ­Jahrgänge rücken sukzessive in diese Altersgruppe nach, bis sie 2030 zum Großteil bereits mehr als 65 Jahre alt sein werden. 2014 lebten österreichweit 1,56 Mio. Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren. Bis 2030 steigt ihre Zahl auf 2,14 Mio., also um über ein Drittel bzw. 37,5 Prozent mehr als 2014. Der Trend ist weltweit zu beobachten: Im Jahr 2025 werden die über 60 ­Jährigen fast ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Bis 2050 wird die Zahl der über 60 ­Jährigen von heute 841 Mio. auf über zwei Mrd. klettern. Im Jahr 2020 wird erstmals in der Geschichte der Menschheit die Anzahl der über 60 ­Jährigen größer sein als die der Kinder unter fünf Jahren. Darauf verweist die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Während die Anzahl der Kranken und Gebrechlichen steigt, werden im mer mehr Menschen durch die steigende Lebenserwartung und das verbesserte medizinische System auch immer länger gesund leben. Diese, auch „Best Ager“ genannte Gruppe wird ihre besten Jahre auch verstärkt mit Reisen verbringen.

BOOM-BRANCHE

Die Senioren seien der Wachstumsmotor des Tourismus, sagt die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reise (FUR). Schon heute werden 43 Prozent aller Urlaubsreisen von den Älteren unternommen. Tendenz: steigend. Denn Reisen zählt heute schon für die Jugend zur Selbstverständlichkeit, und wer in jungen Jahren in der Welt unterwegs war, ändert sein Reiseverhalten im Alter nicht. 79 Prozent der 50 ­ bis 69 ­Jährigen und 62 Prozent der 70 ­plus­jährigen Deutschen haben im Jahr 2015 mindestens eine Urlaubsreise mit fünf oder mehr Tagen unternommen. Insgesamt haben laut Reiseanalyse Menschen über 50 im vergangenen Jahr 33,3 Mio. Urlaubsreisen mit mindestens fünf Tagen gemacht, das entspricht knapp der Hälfte der Urlaubsreisen der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren. Die Experten der FUR gehen davon aus, dass im Jahr 2025 die 60­ bis 69 ­Jährigen am meisten reisen werden, gefolgt von der Generation 70 plus. Derzeit liegen noch die 50 ­ bis 59 ­Jährigen mit 13,53 Mio. Urlauben an der Spitze.

AUSGABEFREUDIGE URLAUBER

Und die rüstigen Rentner lassen sich das Urlaubsvergnügen auch gerne etwas kosten. 50 ­ bis 69 ­Jährige geben laut Reiseanalyse für ihre Urlaubsreisen
überdurchschnittlich viel Geld aus, nämlich im Schnitt 1.004 Euro pro Person. 75 Prozent der Urlaubsreisen von 50 ­ bis 69 ­Jährigen und 67 Prozent der Urlaubsreisen von über 70 ­Jährigen erfolgen in Begleitung von Personen aus dem eigenen Haushalt. Der Anteil der Alleinreisenden liegt zwischen elf und 15 Prozent. Die meisten Urlaubsreisen der 50­plus ­Jährigen finden in den Sommermonaten Juli und August statt, die Saisonalität ist insgesamt aber deutlich geringer als bei jüngeren Altersgruppen. So sind die älteren Reisenden überdurchschnittlich häufig in den Monaten Mai und Juni sowie im September unterwegs, also abseits der großen Ferien. Davon profitiert die Tourismusbranche, die sich über eine gleichmäßigere Auslastung übers Jahr verteilt freuen darf. Bei den Urlaubsmotiven stehen die Wünsche nach Natur, Kultur und Gesundheit bei den 50 ­plus ­Urlaubern höher im Ranking als bei jüngeren Gästen. Wie aktiv die Besucher ihre Auszeit gestalten, hängt vom Alter ab: Die 50 ­ bis 69 ­Jährigen verbringen ihren Urlaub mehrheitlich aktiver als die 70 ­plus ­Jährigen.

IM ALTER MOBIL

Mobil zu bleiben, ist gerade für Senioren ein wichtiges Thema. Das betrifft sowohl die körperliche Fitness als auch die Nutzung von Verkehrsmitteln, die den Weg in die Welt eröffnen. Laut FUR ist der eigene Pkw das beliebteste Fortbewegungsmittel in den Urlaub. Für Österreich zeigen die Resultate der Mobilitätserhebung „Österreich unterwegs“ aus 2016, dass sich die Pkw ­Verfügbarkeit bei Menschen über 55 Jahren in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt hat. Zwei Drittel dieser Altersgruppe verfügen nun über ein Fahrzeug und einen Führerschein.

GROSSER REISERADIUS

Das beliebteste Reiseziel der 50­plus ­Urlauber aus Deutschland ist, bedingt durch die leichte Erreichbarkeit, das eigene Land. Gefragt sind auch Ziele im Mittelmeerraum und in den Alpen. Doch der Trend geht hin zu Ferien fern der Landesgrenzen: Laut FUR fahren bereits mehr als die Hälfte der Senioren zum
Urlauben ins Ausland. Reiseziele in Europa und Österreich sind besonders beliebt, wobei die Deutschen hierzulande die sprachlichen Vorteile schätzen. Doch der Reiseradius wird immer größer. Zusehends faszinieren auch Destinationen in Übersee. Selbst aufwendige Reisen mit langen Flugzeiten schrecken nicht mehr ab. Und so tauchen mittlerweile auch Länder wie Indien und China auf den Urlaubsplänen der älteren Reisenden auf. Immer mehr Großeltern entscheiden sich auch dazu, im Urlaub Zeit mit den Enkeln zu verbringen. Oft suchen Oma und Opa dabei dieselben bewährten Urlaubsziele auf, die sie schon mit ihren Kindern besucht haben. Die Ansprüche sind daher jenen von jungen Familien sehr ähnlich: Komfort, um­ fassender Service, abwechslungsreiche Unterhaltungsangebote, getrennte Zimmer und Kinderbetreuung sind gefragt.

SENIORENREISEN IM WANDEL

Zahlreiche Reiseveranstalter haben sich den Senioren verschrieben. Zu den führenden Anbietern zählt „Seniorenreisen“, das Reisebüro des Pensionistenverbandes. Die Reisen punkten bei den Pensionisten mit Sicherheit, umfassendem Service und abwechslungsreichem Programmen. Die Urlauber werden von zu Hause abgeholt und müssen sich weder um das Gepäck noch um die Flugtickets kümmern. Auf dem Flughafen wird beim Einchecken geholfen. Doch bei den Ansprüchen zeichnen sich Veränderungen ab: Laut Okan Toprakci, Prokurist bei „Seniorenreisen“, reicht es nicht mehr aus, die älteren Touristen von A nach B zu chauffieren. Sie sind gut gebildet, reiseerfahren und möchten auch über soziale und politische Themen und über die Vegetation in der Umgebung informiert werden. Gefragt ist das „ganze Bild“ einer Destination, nicht nur einzelne Highlights.

SENIORENTELLER WAR GESTERN

Ein Bericht des Marktforschungsunternehmens RegioData zeigt: Menschen im besten Alter sind immer weniger über Senioren ­Kampagnen zu erreichen. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass ältere Menschen sich oft für jünger halten, als sie sind. Eine explizite Ansprache dieser Menschen mit Begriffen wie „seniorengerecht“ und „für Pensionisten“ ist kontraproduktiv. Worauf die Generation besonderen Wert legt, sind Qualität und Beratung sowie mehr Serviceangebote.

ERLEBNIS UND GENUSS

So müssten sich touristische Anbieter darauf ein stellen, dass die älteren Reisenden immer reiseerfahrener und anspruchsvoller werden und auch äußerst unterschiedliche touristische Interessen mitbringen, ist Bente Grimm, Projektleiterin im Institut für Tourismus ­ und Bäderforschung in Nordeuropa, überzeugt. Die Senioren von heute gehen mit einem anderen Selbstverständnis ans Leben heran als die Generationen vor ihnen. Und dieses Selbstverständnis beinhaltet unter anderem, dass sie mitten im Leben stehen, genießen und erleben wollen. Die über 50 ­Jährigen sind modebewusst, technologieaffin und legen Wert auf Qualität. Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind Pensionisten nicht nur an All ­inclusive ­Urlauben oder Kreuzfahrten interessiert, sondern möchten etwas Neues erleben. Die „Alten“ von heute möchten ein Leben lang dazu lernen, und zwar nicht auf Bildungsreisen, sondern über persönliche Erfahrungen. So greifen die Senioren immer häufiger auf Reisevarianten zurück, die lange Zeit ausschließlich mit Jugendlichen assoziiert wurden, wie beispielsweise Au­pair ­Aufenthalte. Auch auf der Suche nach Freiwilligen, die sich ehrenamtlich bei internationalen Hilfsprojekten engagieren wollen, wird im Teich der älteren Bevölkerung gefischt.

AKTIV IM WEB

Je eher die Menschen daran glauben, dass sie 90 Jahre alt werden, desto aufgeschlossener sind sie den neuen technologischen Errungenschaften gegenüber. Die heutigen Senioren haben einen so umfassen den technologischen Wandel miterlebt wie keine Generation davor. Und wer einmal begonnen hat, die Möglichkeiten von Internet und Handy für sich zu nutzen, möchte auch im Alter nicht mehr darauf verzichten. Dabei nutzen die Senioren die Vorteile der digitalen Welt nicht nur passiv, sondern sind oft selbst beispielsweise als Anbieter von Bed and Breakfast aktiv oder bei airbnb vertreten. Für diese internetaffine Gruppe hat sich der Begriff „Silver Surfer“ etabliert. Waren 2005 noch 26,4 Prozent der 55 ­ bis 64 ­Jährigen und 8,5 Prozent der Menschen im Alter von 65 bis 74 Jahren im Web unterwegs, so haben 2015 knapp 70 bzw. 46 Prozent das Internet für sich entdeckt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Statistik Austria. Die Generation 60 plus sucht im Internet laut der Seniorenstudie von A1 vor allem Informationen zu den Themen News und Wetter (73 %) und Reisen (61 %). 30 Prozent der Menschen ab 60 Jahren besitzen bereits ein Smartphone. Das Handy dient dabei nicht nur als Uhr und zum Simsen, sondern auch als Informationskanal: Diese Möglichkeit nehmen vor allem Männer (33 %) und junge Senioren zwischen 60 und 69 Jahren (32 %) gerne in Anspruch. Außerdem beliebt: das Versenden und Empfangen von E-­Mails und das Surfen im Internet. Knapp ein Fünftel der Senioren nutzt mobile Apps.

GRENZEN DES ALTERS VERSCHWINDEN

Mit modernerer Kleidung, besserer Gesundheit, vielfältigen Aktivitäten und vielleicht sogar auch vermehrter Nutzung plastischer Chirurgie wird ein 80 ­Jähriger immer schwieriger als solcher zu erkennen sein. Die institutionellen Grenzen des Alters lösen sich durch das Wegfallen eines fixen Pensionsalters zusehends auf. So fallen auch Normen und Erwartungen weg, die für ältere Menschen heute noch relevant sind. Die Biografien der Zukunft werden daher keinen vorgespurten Pfaden mehr folgen, sondern viele neue Verzweigungen aufweisen, an denen Menschen immer wieder über ihre Lebensgestaltung entscheiden müssen. Mehr Selbstverantwortung und weniger Routine führen dazu, dass Menschen mehr Stimulation erfahren und dadurch mental flexibler und aufgeschlossener bleiben. Die allmähliche Auflösung des Konzeptes „alt“ hat Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf Familienstrukturen, auf gesellschaftliche Rollen und Erwartungen – und auch auf das Reisen.