Wie können Reiseangebote in Österreich inklusiv gestaltet werden? Kärnten bietet seinen Gästen barrierefreie Naturerlebnisse, Ausflugsziele und Restaurants mit Zertifizierung.
Barrierefreiheit im Alltag und auf Reisen ist für Menschen mit Behinderung unabdingbar. Im Tourismus werden inklusive Angebote vermehrt nachgefragt und sehr gut angenommen. Österreichs Tourismusregionen, allen voran Kärnten, begegnen diesem Trend mit attraktiven Angeboten für alle.
Michaela Landauer hat mit Elke Maidic gesprochen, die bei der Kärnten Werbung für das Projekt „Naturerleben für ALLE“ verantwortlich zeichnet.
In Österreich sind laut Statistik Austria 18,4 % der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren dauerhaft (länger als ein halbes Jahr) eingeschränkt, das sind hochgerechnet 1,34 Mio. Personen. In der Europäischen Union leben rund 80 Millionen Menschen mit Behinderung und die Zahl der älteren Menschen in unserer Gesellschaft steigt kontinuierlich. Barrierefreier Tourismus und kulturelle Teilhabe gewinnen daher in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung – sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich.
Begonnen hat alles im März 2017. Damals hat die ARGE Naturerlebnis Kärnten, ein Zusammenschluss von elf Schutzgebieten, acht Tourismusregionen und der Kärnten Werbung, gemeinsam mit dem Bundesverband für Menschen mit Behinderungen (ÖZIV) begonnen, ein Angebot zu nachhaltigem, barrierefreiem Reisen zu entwickeln. Ziel war es, ausgewählte Naturerlebnisse uneingeschränkt für alle erlebbar zu machen. Während zwei Jahren wurde eine Strategie erarbeitet, eine Bestands- und Potenzialanalyse durchgeführt sowie Workshops zur Sensibilisierung der Branche abgehalten. Dann haben wir das Projekt beim Land Kärnten zur Förderung eingereicht und es wurde als Leuchtturmprojekt finanziert.
In einem ersten Schritt gab es kärntenweit eine einheitliche, mit Fachexpert:innen erstellte Erhebung der Naturerlebniseinrichtungen und deren Eignung auf Barrierefreiheit. Bei dieser Potenzialanalyse haben sich zwölf Angebote als besonders geeignet erwiesen. Nach eingehender Prüfung wurden dann elf ausgewählt. In einem zweiten Schritt haben wir uns überlegt: Für wirkliche Barrierefreiheit muss die gesamte touristische Dienstleistungskette inklusiv gestaltet sein, also neben den Ausflugszielen z.B. auch Hotels und Restaurants. So haben wir das Angebot sukzessive erweitert.
Die barrierefreie Infrastruktur umfasst kärntenweit insgesamt über 50 Einrichtungen: Attraktive Naturerlebnisse wie Erlebniswege am Weissensee und im Biosphärenpark Nockberge sind darin ebenso enthalten wie ein Geolehrpfad an der Villacher Alpenstraße oder barrierefreie Seezugänge, Unterkünfte und Restaurants. Auf der Website der Kärnten Werbung sind die Angebote in einer interaktiven Übersichtskarte dargestellt und klickbar, auch dieses Video gibt einen guten Überblick. Beim Thema Anreise setzen wir bei der sogenannten letzten Meile auf den Bahnhofshuttle, also den Weg vom Bahnhof zur Unterkunft, der ebenfalls barrierefrei gebucht werden kann. Dieser Shuttle verbindet 17 Bahnhöfe in Kärnten mit mehr als 6.000 Unterkünften, Campingplätzen und über 250 Ausflugszielen.
Unser Angebot richtet sich an Menschen aller Altersgruppen, egal ob mit oder ohne Behinderung. Und natürlich sollen nicht nur unsere Gäste, sondern auch die einheimische Bevölkerung davon profitieren können. Besonders wichtig ist uns, dass sich der Gast zu 100% darauf verlassen kann, dass die Angebote auch tatsächlich durchgehend barrierefrei und inklusiv sind. Selbstbestimmung ist hier ein zentraler Faktor. Wichtig war uns auch die geographische Verteilung über ganz Kärnten.
Die größte Herausforderung war, dass es zu Beginn des Projekts keine Kriterien für die Zertifizierung der touristischen Angebote gab. Es musste also für alle Bereiche, nachvollziehbar und transparent, ein umfassender Kriterienkatalog definiert werden – das war neu in Österreich. Zunächst wurden die Naturerlebnisse zertifiziert, nach und nach kam dann die weitere touristische Infrastruktur dazu: Programme, Beherbergungsbetriebe, Gastronomie und Ausflugsziele. Alles in allem war das ein aufwendiger, mitunter auch mühsamer Prozess. Eine weitere Herausforderung, die sich immer wieder stellt: Die Kriterien des ÖZIV werden nicht korrekt umgesetzt, wodurch es zu Verzögerungen und Rückschlägen kommt. Und auch die Natur selbst kann herausfordernd sein: Bei einem der Naturerlebnisse, auf der Grundalm an der Nockalmstraße, wurde nur zwei Wochen nach der feierlichen Eröffnung durch ein Unwetter die Brücke weggespült. Die musste dann neu errichtet werden, was natürlich auch mit Kosten verbunden war.
Der ÖZIV spielte von Anfang an eine zentrale Rolle, denn das Angebot sollte gemeinsam entwickelt und von allen getragen werden, um breite Akzeptanz zu gewährleisten. Der Verband begleitet interessierte Betriebe durch den gesamten Zertifizierungsprozess, der in der Regel zwischen sechs und zwölf Monate dauert. Das hängt auch sehr stark davon ab, wie viel gemacht werden muss. Man braucht also etwas Geduld, aber es lohnt sich in jedem Fall. Nach drei Jahren erfolgt dann die Rezertifizierung, die aber sehr schnell und unkompliziert passiert, bei Betrieben genügt beim ersten Mal sogar eine persönliche Erklärung und ein Fotonachweis.
Feedback bekommen wir aktuell von den Betrieben, Rückmeldungen von den Gästen sollen in einem zweiten Schritt folgen. Was wir aber jedenfalls sagen können, ist, dass das Angebot auf großes Interesse stößt und sehr gerne angenommen wird. Das Interesse am Thema barrierefreies Reisen und der Wunsch nach mehr Information ist generell sehr groß. Ein Vorteil ist auch, dass barrierefreie Angebote in der Regel eher langfristig gebucht werden, was bessere Planbarkeit mit sich bringt.
Ein zentrales Learning ist die Kommunikation: Man muss unfassbar viel reden, erzählen und erklären. Und das kommunizieren, was schon an Gutem vorhanden ist. Der persönliche Kontakt und Austausch sind das Um und Auf. Im Gespräch können auch viele Fragen und Unsicherheiten geklärt werden. Wie wichtig die Kommunikation ist bzw. was da auch nicht ideal laufen kann, hat sich gerade kürzlich gezeigt: Bis Juni konnten Betriebe beim Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds (KWF) Projekte einreichen. Das Feedback seitens des KWF war, dass das Geld nicht abgeholt wurde, die Betriebe wiederum sagen, der KWF hätte die Projekte nicht bewilligt. Da muss man sich natürlich anschauen, wie dieses Missverständnis zustande gekommen ist.
Neben guter Kommunikation braucht es auch sehr viel Manpower, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen: So ist es z.B. wichtig, dass jemand vor Ort ist und den Zertifizierungsprozess begleitet, damit die erforderlichen Kriterien dann wirklich so umgesetzt werden, wie es der ÖZIV verlangt, und es keine Verzögerungen gibt.
Interessierten Destinationen kann ich unseren Praxisleitfaden „Tourismus für ALLE“ empfehlen, in dem wir unsere Erfahrungen der Branche zur Verfügung stellen. Darin sind u.a. alle Zertifizierungskriterien des ÖZIV zu finden.
Von den ursprünglich elf Naturerlebnissen sind jetzt noch zehn mit dabei. Ein Angebot ist weggefallen, weil nur das Ausflugsziel selbst, nicht aber der Weg dorthin barrierefrei war – und es geht ja schließlich darum, die gesamte Dienstleistungskette, von der Anreise über den Aufenthalt bis hin zur Restauration, für alle erlebbar zu machen. Ein neues Projekt wird aber derzeit gerade evaluiert – wenn das durchgeht, wären es wieder elf. Generell haben wir aber gesehen, dass wir in Kärnten den Plafond wahrscheinlich schon erreicht haben.
Wenn bei den Hotels also noch drei bis vier pro Jahr dazukommen, dann sind wir schon sehr zufrieden. Was wir uns noch wünschen, sind mehr Zertifizierungen von Seen und Strandbädern, vielleicht schaffen wir da in diesem Sommer noch zwei weitere Betriebe – aktuell sind es fünf.
Unser Ziel ist es auch, dass die Buchungen in Zukunft vermehrt online erfolgen, derzeit buchen die meisten Gäste noch telefonisch. Und wir möchten die hohe Qualität des Angebots sicherstellen und die Mitarbeiter:innen in den Betrieben und Ausflugszielen weiterhin an Sensibilisierungsschulungen teilnehmen lassen.
Abschließend noch ein Ausblick: Was wahrscheinlich auch kommen wird, ist die sogenannte Urlaubsbetreuung, dass also ein Gast, der einen barrierefreien Urlaub bucht und allein anreist, vor Ort gegen Bezahlung von jemandem betreut wird.
Mit der Rubrik "Nachhaltigkeit in Österreich" möchte die Österreich Werbung bewusst inspirierende Initiativen, Regionen und Betriebe vor den Vorhang holen. Wir gratulieren der ARGE Naturerlebnis Kärnten zu dieser gelungenen Umsetzung des barrierefreien Tourismus und wünschen weiterhin viel Erfolg!