Im Warteraum zum echten Leben

Im Warteraum zum echten Leben

Es ist nur die Sprache, die uns trennt. In vielem sind wir uns ähnlich. Entdecken Sie die kleinen, feinen Mentalitätsunterschiede der beiden Nachbarländer.

Ein Beitrag von Franca-Maria Kobenter, Market Manager Tschechische Republik (bis Juni 2019)

Zum Verständnis der tschechischen Mentalität gibt es unterschiedliche Zugänge: sei es die literarische Figur des „Schwejk“, der mit teils schwarzem Humor, aber immer augenzwinkernd die Probleme der aus den Fugen geratenen Welt kommentiert und sie umschifft;  oder Kunderas Verfilmung „der unerträglichen Leichtigkeit des Seins“. Der Titel dieses Romans fand Eingang in jede Sprache. Oder man setzt sich in eine typische, tschechische Bierstube und wird staunen, dass auch im 21. Jahrhundert bei einem oder mehreren Bieren ein Stimmengewirr den Raum beherrscht. Es wird diskutiert und gelacht, in kleinen und großen Gruppen sitzen sie und ignorieren für einige Stunden das digitale „soziale Netzwerk“.

Den Nagel auf den Kopf getroffen hat ein Bekannter, ein Reporter. Befragt danach, wie er denn „die Tschechen“ charakterisieren würde, antwortet er: „Von Montag bis Freitag Nachmittag befinden sie sich im Warteraum auf das richtige Leben. Denn das richtige Leben findet von Freitag Nachmittag bis Sonntag Abend statt“. Damit erklärt man sich auch die Besessenheit, mit der unsere nördlichen Nachbarn ihren Hobbys nachgehen. Nicht verwunderlich also, dass dabei vor allem der Hobbysportler im Zentrum steht: Radfahren in allen seinen Ausprägungen, Bergwandern/Klettern, Kajakfahren, Golfen, Skifahren usw. Dafür investieren sie in eine Superausrüstung und Freizeitkleidung. Dies macht sich auch im Stadtbild Prags bemerkbar. In den Berufen und Positionen, die keinen expliziten Dresscode vorgeben, trifft man auch während der Woche auf in "Northface" oder "Mammuth" gekleidete Bürger. Eleganz und Modebewußtsein sind im romanischen Raum beheimatet. Und natürlich wird jede freie Minute den Hobbys gewidmet. Denn mit dem Mittelmaß gibt man sich im „echten Leben“ nicht zufrieden.

Österreich erfüllt für die Outdoor und Sport begeisterten Tschechen alle Kriterien, um den ein oder anderen Kurzurlaub einzuplanen. Wichtigste Informationsquelle ist aber auch im gemütlichen Prag oder Brünn das Internet.

Bei den Millenials ändern sich auch die kulinarischen Vorlieben. Im Gegensatz zu deren Elterngeneration, die der deftigen böhmischen Küche nicht entsagen will, konsumiert diese Generation bewußter: regionale Produkte, vegetarisch oder zumindest stark auf Abwechslung und Qualität achtend.

Obwohl im Jahr 2018 auch Tschechien "100 Jahre nach der k&k Monarchie" feiern wird, merkt man noch einige Einflüsse aus der gemeinsamen Zeit. Es eint uns eine gewisse „Titelverliebtheit“. Auch die Tschechen legen großen Wert auf ihre akademisch erworbenen oder sonstigen Berufstitel. Was sie überhaupt nicht vertragen, ist ungefragt geduzt zu werden. Dafür fehlt ihnen das Verständnis. Es wird als arrogant und wenig wertschätzend wahrgenommen. Sie brauchen etwas länger um aufzutauen und Vertrauen zu fassen. Auch bei unzulänglicher Servicequalität wird sich ein tschechischer Gast nicht direkt beschweren, um seinen Unmut zu äußern. Dies geschieht dann daheim in Gesprächen, im sozialen Netzwerk, auf Bewertungsplattformen. Eine Andersbehandlung im Vergleich zu Gästen anderer Nationen wird als abwertend empfunden und kann einen enttäuschten tschechischen Gast und seinen gesamten Bekanntenkreis für längere Zeit vergrämen.

Fühlen sich unsere tschechischen Gäste gut aufgehoben, dann werden sie zu langjährigen Stammgästen. Und darin sind sie durchaus mit den bayrischen Gästen der 80-er Jahre vergleichbar.


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