Gesundheitstouristische Angebote geben nicht nur die Antwort auf die Bedürfnisse der gestressten und alternden Gesellschaft. Körperlich fit und seelisch ausgeglichen zu bleiben ist auch Teil eines neuen Lebensstils, bei dem der Urlaub eine wesentliche Rolle spielt.
Veganes Fast Food, Apps als Personal Trainer, Meditationsseminare in der Mittagspause: Sich gesund und fit zu halten liegt im Trend und durchdringt alle Lebens- und Konsumbereiche. Gesundheit ist zu einem neuen Statussymbol geworden. Dabei bedeutet der Begriff nicht nur das Gegenteil von Krankheit, sondern die langfristige Ausgeglichenheit von Körper und Geist. Das Zukunftsinstitut ortet im Gesundheitstrend einen der Megatrends, die die Gesellschaft auch in den nächsten Jahrzehnten prägen werden.
Die Verbindung zwischen Gesundheit und Reisen ist nicht neu: Die ersten Gesundheitstouristen gingen bereits in der Antike auf Reisen. Die Griechen pilgerten in den antiken Heilort Epidauros, um sich rituell zu reinigen und behandeln zu lassen. Und die Römer begründeten die Badekultur, um die entspannende und heilsame Wirkung des Thermalwassers zu nutzen. Heute tragen neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen dazu bei, dass der Gesundheitstourismus neuen Aufwind erfährt: Die wachsende Urbanisierung, der zunehmende Stress im Arbeitsleben und die Überalterung der Gesellschaft bereiten den Boden für neue Facetten dieses Tourismussegments.
Laut der Welttourismusorganisation (UNWTO) und der European Travel Commission (ETC) zählt der Gesundheitstourismus weltweit zu den am schnellsten wachsenden Tourismussegmenten. Dass das Thema Gesundheit noch ungenutztes touristisches Potenzial birgt, zeigen die Ergebnisse der deutschen Reiseanalyse (RA) und der Gästebefragung T-MONA: Das Interesse an Kur-, Wellness- und Gesundheitsurlauben ist drei- bis viermal so groß wie die tatsächliche Reiseerfahrung. 30 Prozent der deutschen Gäste gaben an, dass „etwas für die Gesundheit tun“ für sie ein wichtiges Reisemotiv darstellt. Dies entspricht rund 21 Mio. Menschen allein in Deutschland. Dabei bezeichnet der Begriff „Gesundheitstourismus“ eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote – von Wellness in der Therme bis hin zu medizinisch orientierten Reisen, die Linderung bei körperlichen und psychischen Beschwerden versprechen. „Die klassischen Wellnessangebote haben ihre Wachstumsphase bereits hinter sich“, ist Franz Linser, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Linser Hospitality, überzeugt. Der Experte spricht von einem Paradigmenwechsel: „Standen noch vor wenigen Jahren das Verwöhnen und die Auszeit vom Alltag im Fokus eines Gesundheitsurlaubs, sind die Gäste heute auf der Suche nach einer langfristigen Veränderung – ob beim Entgiften, beim Abnehmen oder bei Maßnahmen zur Stressbewältigung.“ Nicht mehr Ablenkung, sondern Effekte mit nachhaltiger Wirkung seien gefragt. International betrachtet seien die Wachstumsraten bei diesen Angeboten doppelt so hoch wie im Branchendurchschnitt, meint Linser.
Großes Potenzial bietet der Bereich der psychomentalen Gesundheit: Immer mehr Menschen sind dem Druck im Arbeitsleben nicht mehr gewachsen und leiden an Burn-out oder Depressionen. In den letzten 15 Jahren habe sich der Verbrauch an Psychopharmaka vervierfacht, sagt Linser. Auch Kai Illing, Forscher an der FH Joanneum Graz/Bad Gleichenberg, sieht im Bereich der mentalen Gesundheit noch große Chancen. „Studien zeigen, dass eine von vier Personen eine psychologische Behandlung bräuchte“, so Illing. Betriebe, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben, erfreuen sich regen Zulaufs.
Das Erfolgsrezept für die Zukunft lautet Spezialisierung: „Betriebe mit einem medizinischen Fokus können profitabler wirtschaften. Im Vergleich zu einem Wellnessbetrieb werden doppelt so viele Anwendungen gebucht, die zusätzliche Einnahmen generieren“, so Illing. Anders als Kurbetriebe, die an die Vorgaben von Krankenkassen und Pensionsversicherungen gebunden sind, könne eine private Gesundheitseinrichtung auf weitere Instrumentarien zurückgreifen, die neue Zielgruppen ansprächen. So setzen etwa immer mehr Betriebe auf alternative Heilmethoden wie Traditionelle Chinesische und Europäische Medizin oder Ayurveda. Anstelle industrieller Arzneimitteln sollen diese eine natürliche Heilung oder eine auf der Natur basierende Prävention ermöglichen. International sei Asien in diesem Bereich Vorreiter, erläutert Linser. Denn die asiatische Medizin betrachte Gesundheit ganzheitlich, sei naturnah und bringe spirituelle Elemente mit.
Der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) haben sich die Kneipp Traditionshäuser der Marienschwestern in Aspach, Bad Kreuzen und Bad Mühllacken verschrieben. Ausgewogene Ernährung, moderate Bewegungsangebote – wenn immer möglich an der frischen Luft –, Achtsamkeitsübungen und Meditationen machen das Angebot aus. Das Kurhaus begrüße hauptsächlich private Gäste, in den letzten Jahren übernähmen aber auch die Krankenkassen immer häufiger die Kosten für einen Aufenthalt, berichtet die Marketingleiterin des Kneipphauses in Aspach, Sandra Nöbauer. Besonders die Fastenwochen und Detox-Angebote, die noch weiter ausgebaut werden sollen, stünden bei den Gästen hoch im Kurs. Dabei habe sich das Publikum verändert: Die Stammgäste, die tendenziell älter seien, fielen zunehmend weg und wichen einem jüngeren Publikum, das sich nach einer sinnstiftenden Auszeit in einer ruhigen Umgebung sehne. Auch in der Parktherme Bad Radkersburg, wo im August das „Vita med Gesundheitszentrum“ eröffnet wurde, hat sich die Gästestruktur deutlich verjüngt. „Bei der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen überwiegt bereits die Zielgruppe der 40- bis 45-Jährigen“, so Stefanie Schmid, Presseverantwortliche der Parktherme. Der Betrieb verzeichne eine steigende Nachfrage in der privaten Gesundheitsvorsorge in Kombination mit den natürlichen Ressourcen wie regenerativem Thermalwasser, Kohlensäurebädern und Anwendungen mit dem „Klöcher Vulcano-Fango“. Auch Ernährung und Aktivität seien wesentliche Pfeiler des Angebots, erklärt Schmid. Immer häufiger reisen auch Gäste aus dem Westen Österreichs an – zum Vorteil für die Region, da die Aufenthaltsdauer bei dieser Gästegruppe länger ist als beim Durchschnittsgast. Gesundheitsurlaub findet in Bad Radkersburg nicht nur in klassischen Gesundheitshotels statt, sondern auch in Kombination mit der Nächtigung auf dem Campingplatz der Parktherme oder bei Privatzimmervermietern, die ein persönliches Umfeld bieten.
Dass immer mehr Gäste die Quelle der Gesundheit und Entspannung in der Natur finden, eröffnet dem Alpenraum mit seinen Ressourcen große Profilierungschancen, die noch zu wenig genutzt werden. Die wissenschaftliche Erforschung der positiven Effekte von naturbezogenen Gesundheitsangeboten soll etwa im Land Salzburg die Basis für die Gestaltung neuer Tourismusangebote schaffen: Auf die Zielgruppe der Best Agers, also auf Menschen über 50 Jahren, ist das Projekt „Trail for Health Nord“ ausgerichtet. Eine kürzlich fertiggestellte klinische Untersuchung von 140 Wanderurlaubern über 65 Jahren zeigte, dass der Anteil von für die Immunabwehr und die Krebsabwehr notwendigen T-Zellen schon nach einem einwöchigen Alpenaufenthalt steigt. Derzeit entwickeln Forschungseinrichtungen, touristische Regionen und das Innovationszentrum für Salzburg gemeinsam neue grenzüberschreitende Konzepte. Gemeinsam mit den Partnerbetrieben würden Workshops durchgeführt, um 2018 mit den neuen Produkten durchstarten zu können, erzählt Arnulf Josef Hartl, Leiter des Universitätsinstituts für Ecomedicine an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität.
Den Winter mit gesundheitstouristischen Angeboten zu beleben, darauf zielt das Projekt „WinHealth“ (Abkürzung für „Winter Health“) ab. WinHealth wird im Zeitraum von November 2016 bis April 2019 von acht Partnern in den Regionen Salzburg, Tirol, Südtirol und Friaul- Julisch Venetien umgesetzt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie werden die Auswirkungen des Skitourengehens auf die Muskulatur und das allgemeine Wohlbefinden untersucht. „Da Wintertourismus schneeabhängig ist, muss die Tourismuswirtschaft aufgrund des Klimawandels neue Strategien zur Angebotsdiversifikation entwickeln und neue Einnahmequellen erschließen. Der evidenzbasierte Gesundheitstourismus bietet hier viele Möglichkeiten“, so Hartl. Denn Skitourengehen und Winterbergsteigen gelten als Trendsportarten und sind nicht auf künstliche Beschneiung angewiesen. Ziel des Projekts ist es, neue Geschäftsfelder zu erschließen und Regionen so eine glaubwürdige gesundheitstouristische Positionierung zu ermöglichen.
Wie sich die Natur als Quelle der Gesundheit erlebbar machen lässt, machen auch einige internationale Destinationen vor. Die zunehmende Urbanisierung und die Technisierung des Lebensumfelds tragen dazu bei, dass die Menschen verstärkt die Nähe zur Natur suchen. In den USA wird das Phänomen der Entfremdung von der Natur, bezeichnet als „Nature Deficit Disorder“, sogar als Krankheit gehandelt. Als Antwort auf diese Bedürfnisse hat Visit Finland „Silence-Programme“ geschnürt: Bei viertägigen „Wildnis-Retreats“ beispielsweise entdecken Besucher die unberührte, weite Wildnis des Paistunturi-Gebiets. Bei „stillen Wanderungen“ machen sich Besucher unter Anleitung mit den Prinzipien der Ecotherapie vertraut, die auf eine bessere Wahrnehmung der Umgebung abzielt. Und auf Usedom lädt Deutschlands erster anerkannter Heilwald zum Besuch ein: Menschen mit Lungenerkrankungen sowie stressbedingten Krankheiten wie Bluthochdruck sollen hier eine Linderung ihrer Beschwerden erfahren. Spaziergänge durch den Wald, Atemübungen und Meditation und Meditation sind die wichtigsten Faktoren des Angebots. Die Gäste sind heute besser informiert und gehen kritischer mit den Angeboten um als in der Vergangenheit.
Zum Gesundheitstourismus zählen aber auch Reisen mit medizinischem Schwerpunkt. Fahren die Österreicher zum Teil für ihren Zahnersatz nach Tschechien oder Ungarn, kommen viele Araber und russische Oligarchen für ihre Behandlungen nach Österreich. Obwohl diese Gäste nur einen kleinen Teil der Gesundheitsreisen darstellen, machen das angenehme Klima hierzulande und Ärzte mit ausgezeichnetem Ruf Österreich zum interessanten Gesundheitspflaster. In den Wiener Privatkliniken etwa lassen sich Araber, Russen, Rumänen, Bulgaren und Aserbaidschaner behandeln, schwerpunktmäßig in der Orthopädie, Urologie und Chirurgie. Aber es gibt auch Möglichkeiten, sein Äußeres im Urlaub zu „tunen“, indem ein Schönheitseingriff mit einem Aufenthalt in luxuriösem Wohlfühlambiente kombiniert wird. Unter dem Namen „Beauty Beyond“ bietet etwa das Kuzbari-Zentrum in Wien die Möglichkeit, nach einem plastischen chirurgischen Eingriff eine Betreuung auf 5-Sterne-Niveau im Hotel Bristol gegenüber zu genießen. Dort unterstützen Mitarbeiter die Heilung etwa mit speziellen protein- und vitaminreichen Menüs.
Die Gäste sind heute besser informiert und gehen kritischer mit den Angeboten um als in der Vergangenheit. Und gerade wenn es um die eigene Gesundheit geht, möchte der Gast keine Abstriche bei der Qualität machen. Nur über Qualität könne es in Zukunft gelingen, sich von der Konkurrenz abzuheben, ist Fritz Michelitsch, Auditor bei „Best Health Austria“, überzeugt. Das Gütezeichen „Best Health Austria“, zeichnet Hotels, Kliniken und Thermen aus, die bei einem jährlichen Audit ihre Qualität unter Beweis stellen. Die Betriebe müssen anhand von Gäste- und Mitarbeiterbefragungen ein Qualitätsmanagementsystem aufbauen und Kriterien festlegen, um Verbesserungen messbar zu machen. Die Unternehmer sollten diese Ziele in einem Handbuch festhalten, um den Mitarbeitern ein Instrument zu geben, das sie selbstständig arbeiten lässt. Professionelles Qualitätsmanagement ist aufwendig, macht sich aber bezahlt: Die Partnerbetriebe können nicht nur ihre Kosten senken, sondern auch ihre Mitarbeiter motivieren. Denn nur, wenn alle an einem Strang ziehen, kann das Qualitätsversprechen gegenüber dem Gast eingehalten werden.