Den Nachwuchs umwerben

Den Nachwuchs umwerben

Die duale Ausbildung gilt als Erfolgsrezept, sie ist praxisorientiert und erleichtert den Jobeinstieg. Dennoch entscheiden sich immer weniger junge Menschen für einen Lehrberuf. Dem Lehrlingsschwund wird in der Tourismusbranche kräftig gegengesteuert.

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Arbeitgeberbranchen Österreichs: Derzeit sind rund 270.000 Menschen in Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben beschäftigt. Die dynamische Nachfrageentwicklung im Tourismus bietet eine Vielzahl sicherer Arbeitsplätze. Dennoch geht der Branche zunehmend der Nachwuchs aus – besonders die Lehrberufe verlieren an Zuspruch: Laut Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) waren 2016 österreichweit knapp 8.800 Lehrlinge beschäftigt, 1980 waren es noch 16.230. Die Unternehmer bekommen diesen Schwund unmittelbar zu spüren. Zwei Drittel der Unternehmen haben Schwierigkeiten bei der Lehrlingssuche, wie das Meinungsforschungsinstitut market im Rahmen einer Befragung ermittelte.

WERTVOLLES BILDUNGSMODELL

Das duale Bildungssystem bietet viele Vorzüge: Durch die Kombination aus Arbeit im Betrieb und Lernen in der Berufsschule können sich junge Menschen rasch ein Bild von ihrem künftigen Job machen und ihre persönliche Eignung für die Tätigkeit erproben. Bewährt sich eine Zusammenarbeit, hat der Lehrling gute Chancen, vom Betrieb übernommen zu werden, was sich positiv auf die Jugendarbeitslosigkeit auswirkt. Während das Modell der dualen Ausbildung internationale Anerkennung findet und etwa von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gelobt wird, ist das Ansehen von Lehrberufen in Österreich in den letzten Jahren gesunken.

INNOVATIONEN GEFRAGT

Zum einen trage der demografische Wandel zur Problematik bei, ist Martin Stanits, Pressesprecher der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), überzeugt. Während der Bedarf an Arbeitskräften im Tourismus laufend steigt, sinkt die Zahl der Jugendlichen. 1980 lebten in Österreich laut der bildungspolitischen Abteilung der WKO 130.000 15-Jährige, davon waren 61.000 Lehrlinge im ersten Lehrjahr (Anteil: 47 Prozent). 2013 waren es 89.000 Jugendliche und nur mehr 35.000 Lehrlinge (40 Prozent). Zum anderen gelte die Lehrausbildung in der Gesellschaft nicht mehr als zeitgemäß, weiß Siegfried Egger, Obmann des Fachverbands Hotellerie in der Wirtschaftskammer Österreich. Über Jahre wurde in öffentliche Kampagnen für akademische Bildungswege geworben, was Kindern und Eltern das Bild vermittelte, ein akademischer Titel wäre ein Jobgarant. Das „verstaubte“ Image haben viele Lehrberufe aber zu Unrecht: Ein Hotelund Gastgewerbeassistent oder ein Hotelkaufmann beispielsweise erlernt für seine Tätigkeit im Rezeptionsmanagement umfassendes EDV-Wissen und setzt Marketingmaßnahmen um. Dennoch sieht Egger bei der Ausbildung Innovationsbedarf, insbesondere auf nationaler Ebene.

MODELL REFORMIEREN

Wie eine moderne Lehrlingsausbildung aussehen kann, zeigt Vorarlberg, wo heuer erstmals ein reformiertes System umgesetzt wird. Wahl- und Pflichtmodule schaffen Flexibilität, dazu kommen Kooperationen mit internationalen Tourismusschulen und ergänzende Bildungsstandorte. So absolvieren die Schüler Praktika bei Betrieben wie Metzgereien, Weingütern und Sennereien.   Im Montafon und Brandnertal starten heuer bereits Pilotprojekte, bei denen Kenntnisse über die Region und deren Besonderheiten vermittelt werden. Das Interesse an der neuen Ausbildung ist groß: Von den 150 Ausbildungsbetrieben in der Hotellerie und Gastronomie waren 40 Betriebe von Anfang an Teil des Projekts.

ERHOLUNG IN SICHT

Die Zeichen deuteten auf eine Trendwende hin, meint Stanits. So hätten etwa die Finanzbranche und die Industrie, die dem Tourismus in den letzten Jahrzehnten Konkurrenz machten, an Attraktivität verloren. Die Lehrlingsentschädigung wurde aufgestockt und die Betriebe setzen große Bemühungen in die Schaffung hochwertiger Mitarbeiterunterkünfte. Veranstaltungen wie der Tag der offenen Hoteltür, bei dem sich junge Menschen in mehr als 180 Betrieben ein Bild vom Arbeitsplatz Hotel machen können, tragen dazu bei, die Chancen in Tourismusberufen sichtbar zu machen.

VORZÜGE HERVORHEBEN

Zu den wichtigsten Aufgaben zählt laut Egger, die positiven Aspekte von Tourismusjobs hervorzuheben. Denn der Tourismus habe mit einem Imageproblem zu kämpfen. Die Arbeit sei stressig, die Entlohnung schlecht und die Freizeit leide unter den ungünstigen Arbeitszeiten an Abenden und Wochenenden, so die weitverbreitete Meinung. Dabei hat etwa ein freier Tag zu Geschäftszeiten durchaus seine Vorzüge, ebenso wie die Arbeit mit Menschen aus aller Welt und die Möglichkeit, viele Sprachen und kommunikative Kompetenzen zu erwerben.

WÜNSCHE ERNST NEHMEN

Wie Lehrlinge ihre Ausbildungssituation bewerten und wo sie Verbesserungspotenzial sehen, darüber gibt der Lehrlingsmonitor der Arbeiterkammer (AK) und des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) Auskunft. Die Ergebnisse einer Lehrlingsbefragung zeigten Verbesserungsbedarf bei der Feedbackkultur und den Zeitressourcen zum Ausprobieren neuer Arbeitsschritte auf. Weniger als die Hälfte der befragten Lehrlinge geben an, dass in der Arbeit gut oder zumindest ausreichend auf die eigenen Interessen und Neigungen eingegangen wird. Positive Noten gibt es für das soziale Klima in den Ausbildungsbetrieben, ebenso wie für den konstruktiven Umgang mit Fehlern. Wer sich mit den Bedürfnisse des Nachwuchses auseinandersetzt und sie ernst nimmt, kann zuverlässige Fachkräfte für die Zukunft gewinnen.