Bürgermeister auf Zeit

Bürgermeister auf Zeit

Ein ganzes Dorf mieten und ihm ein paar Tage lang den eigenen Stempel aufdrücken: Dazu haben Veranstalter, die außergewöhnliche Locations suchen, nicht nur in Österreich die Gelegenheit.

"Liechtenstein zu vermieten“: Mit dieser Nachricht sorgte Airbnb 2011 für Schlagzeilen. Zu einem Preis von 70.000 Dollar war das 160 km2 große Fürstentum über die Reiseplattform buchbar. Heute hat Airbnb keine Länder mehr im Angebot. Doch wer ein ganzes Dorf mieten möchte, wird auch in Österreich fündig.

ÜBERRASCHENDE PRODUKTIDEE

„Ich war damals im elterlichen Tourismusbetrieb in Brand tätig und wir haben eine Anfrage für eine internationale Veranstaltung erhalten. Da die Kapazitäten eines einzelnen Hauses nicht ausreichten, haben wir uns dazu entschlossen, das ganze Dorf als Resort zu vermieten“, erzählt Karl Schwärzler. Aus dieser Idee hat der gebürtige Brandnertaler, der in Liechtenstein eine Eventagentur betreibt, ein eigenes Produkt entwickelt. Unter dem Namen „Rent a Village“ vermietet Schwärzler heute sechs Dörfer in Österreich, vier in Deutschland und eines in der Schweiz.

LOKALKOLORIT GESCHÄTZT

„Rent a Village“ bietet Locations für 50 bis 2.000 Teilnehmer und konnte bereits über hundert Veranstaltungen umsetzen. Von der Pension bis zum 5-Sterne- Hotel reicht die Auswahl an Gastgebern – wer wo schläft, entscheidet die Schlüsseltombola in der Dorfrezeption. Bei dieser kleinen Zeremonie legt der Bürgermeister das Dorf, das auf Wunsch auch den Namen des Kunden trägt, symbolisch in dessen Hände. Die musikalische Umrahmung bietet die örtliche Blasmusikkapelle. Tagungen, Workshops und Schulungen  finden in der Scheune, in der rustikalen Skihütte oder in einem kreativ adaptierten Dorfsaal statt. Mit seinem Angebot spricht Schwärzler Unternehmen an, die ihren Veranstaltungen einen außergewöhnlichen Rahmen verleihen möchten und Individualität sowie Ursprünglichkeit suchen. „Die Gäste schätzen das authentische Umfeld und das Lokalkolorit der Bevölkerung, mit der sie auf den Straßen, aber auch bei gemeinsamen Aktivitäten in der Natur in Kontakt kommen“, so Schwärzler. Wichtig sei, dass alle – auch die Einheimischen – hinter dem Konzept stehen und es mittragen. Deshalb legte Schwärzler von Anfang an Wert darauf, dass alle im Dorf in das Projekt involviert sind und davon profitieren.

STRUKTUREN ALS ERFOLGSFAKTOR

Die Umsetzung solcher Projekte sei keineswegs einfach: Das Dorf brauche touristische Strukturen und personelle Ressourcen, um die hohe Servicequalität, die die Kunden erwarten, bieten zu können. Stolz ist Schwärzler darauf, ein Netzwerk an starken Partnern aufgebaut zu haben, die schnell auf Anfragen reagieren können und professionell arbeiten. Dieses Know-how und das Vertrauen der Bevölkerung zählen zu den Erfolgsfaktoren. Derzeit wird das Angebot an Dörfern in Deutschland ausgebaut. Denn 75 bis 80 Prozent der Kunden kommen aus Deutschland und wünschen sich oft auch Locations in ihrer Nähe.

DEM LEERSTAND ENTGEGENTRETEN

Auch Dörfer, die mit Leerstand zu kämpfen haben, entdecken die Vermietung für sich, um neues Leben in die Straßen zu bringen. Im ungarischen Dorf Megyer sind von den rund 20 Häusern nur noch wenige bewohnt. Gegen die Abwanderung und den daraus resultierenden Leerstand tritt der Bürgermeister des Dorfs, Lazlo Szabo, an: Für rund 690 Euro pro Nacht bietet er sieben Häuser, mehrere Scheunen, eine Bushaltestelle, ein paar alte Waffenräder und eine Schar von Kühen und Hühnern zur Vermietung an. Das Gemeindeamt ist gleichzeitig die Rezeption des Ortes, wo die Gäste die Schlüssel für die Häuser bekommen. Insgesamt können 39 Gäste untergebracht werden. Die Initiative hat dazu geführt, dass eine neue Aufbruchsstimmung im Dorf entstand. Einige alte Häuser wurden bereits renoviert und in bauhistorische Schmuckstücke im Stil der ungarischen Bauernhäuser verwandelt, die modernen Komfort bieten. Mit den Gästen komme auch wieder Arbeit ins Dorf, sagt Laszlo Szabo. Bisher wurde bereits an Firmenkunden vermietet, auch für Hochzeiten bietet das Dorf ein rustikal-romantisches Umfeld.

EINE FRAGE DER KAPAZITÄT

Die Gemeinde Goldegg am See im Salzburger Land ist seit 2010 über „Rent a Village“ zu mieten. Auch wenn in den letzten Jahren nicht viele Veranstaltungen zustande gekommen sind, fällt das Resümee grundsätzlich positiv aus. Eingeschränkt sind die Möglichkeiten durch die Kapazitäten der regionalen Hotellerie: Denn die Anzahl an 3- und 4-Sterne-Häusern in zentraler Lage ist begrenzt. Die ideale Größe von Seminaren liegt in Goldegg bei fünfzig bis hundert Personen. Wären die Kunden flexibler und die Veranstaltungen längerfristig planbar, könnten noch mehr Veranstaltungen umgesetzt werden, meint Christian Koblinger, Marketingverantwortlicher beim Tourismusverband Goldegg am See. „Die Bevölkerung von Goldegg und die Betriebe stehen grundsätzlich hinter dem Konzept und alle bemühen sich, den Kunden eine unvergessliche Erfahrung zu ermöglichen“, so Koblinger.

INTERESSANTES ZUSATZANGEBOT

Firmen aus der Pharmabranche, aber auch der Haushaltsgeräte-Hersteller AEG waren bereits in Brand in Vorarlberg zu Gast, das ebenfalls Teil von „Rent a Village“ ist. Grundsätzlich sei der Markt härter, die Budgets knapper geworden, berichtet Kerstin Biedermann-Smith, Geschäftsführerin der Alpenregion Bludenz. Die Unternehmen seien auch bei Veranstaltungen immer häufiger auf Sparkurs und eine Dorfvermietung habe ihren Preis. „Da ist es für große Firmen oft einfacher und günstiger, sich in großen Hotelkomplexe einzumieten“, so Biedermann-Smith. Auch die Angebotsstruktur habe sich verändert: So zähle das Brandnertal immer mehr Ferienwohnungen, die Herausforderungen in puncto Service stellen. Für die Region sei die Vermietung dennoch ein interessantes Zusatzangebot, das dabei helfe, am Veranstaltermarkt Fuß zu fassen. Besonders über die Berge und die Natur könne Brand bei den Gästen punkten. Denn einen besonderen Reiz hat eine Tagung, die auch schon mal mitten auf einer blühenden Almwiese stattfindet, allemal.