Tourismusforscher Friedl: Was die Gäste jetzt brauchen – und wie Corona die Branche nachhaltig verändert

Tourismusforscher Friedl: Was die Gäste jetzt brauchen – und wie Corona die Branche nachhaltig verändert

Wonach sehnen sich Gäste nach dem Lockdown? Was bedeutet das für das Marketing? Und welche langfristigen Auswirkungen bringt die Krise? Darüber sprachen wir mit Prof. (FH) Mag. Mag. Dr. Harald Friedl, Experte für angewandte Tourismuswissenschaften an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg.

Podcast Folge 8: Reiseverhalten in Zeiten von Corona

Herr Friedl, die Hotels öffnen, der Tourismus kehrt zurück. Wonach sehnen sich Urlauber jetzt, was brauchen die Menschen nach dem Lockdown?

Der Urlaub ist in unserer Kultur ein eingelerntes Kulturmuster. Das heißt, dass auch Erwartungen und Träume erlernt sind. Trotz Lockerung können die Menschen ihre Sehnsüchte, Träume und bisherigen Reisemuster nicht weiterverfolgen, egal ob es die Sehnsucht nach der Ferne, nach der Exotik oder – im österreichischen Raum – nach der Gemütlichkeit ist. Die Menschen haben im Augenblick sehr viel Orientierungsbedarf, was gleichzeitig für die Tourismusindustrie eine große Chance darstellt. Gut aufbereitete Antworten stellen in Zeiten wie diesen einen echten Marktvorteil dar. Ich war in meiner früheren Karriere als Reiseleiter immer wieder mit schwierigen Situationen konfrontiert, und was Menschen am meisten hilft, ist Orientierung. „Was kann ich machen? Wie kann ich unter den gegebenen Umständen meine Bedürfnisse am besten erfüllen?“

Urlaub im Sommer 2020 findet unter besonderen Rahmenbedingungen statt. Wie können Gäste unter den vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen den Urlaub genießen?

Die große Herausforderung liegt für die Menschen in der Frage: „Kann ich meinen gewohnten Auslandsurlaub wahrnehmen? Und wenn nicht, was ist die entsprechende Alternative?“. Ich glaube, dass Österreich hier eine Riesenchance hat. Wir haben unglaublich reiche und vielfältige Naturräume und führende kulturtouristische Angebote. Jedoch geht es auch darum, das Angebot entsprechend aufzubereiten. Einerseits Signale zu senden, die an den Erwartungen, Hoffnungen und Träumen anknüpfen. Wenn der richtige Trigger angesprochen wird, dann ergeben sich für die Kunden die Antworten auf diese Fragen von selbst.

Wir wissen aus der Tourismusforschung, dass Urlaub sehr viel mit Vertrautem zu tun hat, wie das berühmte Schnitzel, welches man im Ausland isst. Menschen suchen in der Ferne eigentlich das Vertraute. Mit dem Produkt Österreich können gewisse Exotismen entsprechend aufbereitet und als Signale verwendet werden, um so dem Reisenden bewusst zu machen, dass man nicht nur am Roten Meer, sondern auch am Wörthersee toll schnorcheln kann. Ich komme vom Wörthersee, da gibt es Orte und Perspektiven, wo man glauben könnte, man wäre in der Südsee. Diese Perspektiven gibt es bei vielen Gewässern in Österreich, man muss es nur entsprechend aufbereiten.

Andererseits die praktische Umsetzung. Wie kann ich zum Beispiel Gemütlichkeit kommunizieren? Ich denke, dass die Menschen sehr lernfähig sind, vor allem, wenn sie die Wahl haben zwischen „zuhause sitzen“ oder mit Einschränkungen etwas wahrzunehmen. Die Herausforderung liegt im entsprechenden Marketing und der Umsetzung und stellt wiederum auch eine Lern -und Innovationschance für den österreichischen Tourismus dar, ein ausdifferenziertes Angebot zu entwickeln.

Werden die Menschen andere Destinationen bevorzugen oder bleiben die alten Urlaubsträume bestehen?

Verhalten ist das Zusammenspiel von Prägung und konkreten Rahmenbedingungen. Wenn die Grenzen wieder geöffnet werden, springen natürlich die alten Träume wieder an. Das haben wir den Menschen auch lange genug eingetrichtert. Aber Reisen wird weiterhin mit größeren Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden sein. Angst ist ein zentraler Faktor im Urlaub – besser gesagt, die Angstfreiheit. Ein großer Anteil des Klientels wird nach angstfreien Alternativen suchen. Das stellt wiederum eine Chance für den österreichischen Tourismus dar – denn die Träume bleiben. Im Grunde genommen geht es darum, was ein guter Unternehmer immer wieder machen muss: Sich hinzusetzen und zu überlegen, was den Kunden glücklich macht, was er braucht, was er sich leisten kann und wie es aufbereitet werden kann. Das kleine 1x1 eines guten Marketings.

Vor der Krise war Nachhaltigkeit ein großes Thema. Spielt sie in der aktuellen Situation überhaupt noch eine Rolle?

Ich würde sogar sagen, dass wir uns in einem Kernbereich der Nachhaltigkeitsherausforderung befinden. Wir sind extrem auf Effizienz getrimmt und haben dadurch übersehen, entsprechende Sicherungen einzubauen und Resilienz -und Schutzfaktoren zu berücksichtigen. Kleine Krisen und Terrorismus waren bis dato immer relativ ortsgebunden. Das ist auch der Grund, warum bislang Nachhaltigkeit eher eine Karriere als Schlagwort gefunden hat und weniger Eingang in die Ausbildungen und das konkrete Denken. Nun findet ein komplettes Umdenken statt: Man muss lernen, längerfristig zu planen und mögliche Folgen, wie die Betroffenheit von Stakeholdern, mitzudenken. Das ist die Grundvoraussetzung, um langfristig erfolgreich zu sein. So gesehen könnte man sagen, dass die Coronakrise einen wichtigen Anstoß gegeben und Chancen eröffnet hat. Außerdem erfahren wir gerade eine extreme Ressourcenknappheit. Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen und da besteht die Gefahr, dass dadurch alles, was langfristig orientiert ist, weggeschnitten wird. Vor allem haben wir noch eine viel größere Krise zu bewältigen: die Klimaerwärmung. Nur zu sagen, dass Corona im Griff ist und alles wieder in Ordnung ist, das ähnelt einem größeren Tsunami, der dem kleineren nachfolgt. Da wird noch viel Lernbedarf auf uns zukommen.

Wird sich das Reiseverhalten in der Zukunft nach Corona nachhaltig ändern?

Es wird sehr viel diskutiert und beschworen. Meine Forschung fokussiert sich nicht umsonst auf die Frage nach dem menschlichen Verhalten. Das Verhalten ist gezeichnet durch die langfristige Prägung der Hirnstruktur, welche dann in den Kontext von bestimmten Rahmenbedingungen und Zwängen gesetzt wird.

Das heißt, dass der Mensch – sobald er wieder die Möglichkeit hat zu verreisen – dies auch tun wird. Wir werden nicht umhinkommen, politische Maßnahmen zu setzen, wie fossile Treibstoffe durch Steuern massiv zu verteuern, aber auch durch eine Reduktion von Flugslots. Wir haben derzeit immer noch eine extreme Ungleichbehandlung von Kerosin gegenüber normalen Supertreibstoffen. Hier sind Maßnahmen notwendig, sonst wird sich das nach einer Weile wieder in die gleiche Richtung entwickeln.

Auch die Werbung trägt dazu bei, denn gerade im Tourismus gibt es begnadete Kampagnen. Von alleine werden sich Menschen nicht in eine Richtung ändern, die sie vordergründig als Beeinträchtigung ihrer Freiheit erachten. Es gibt diese berühmten Nudges, die Technik, mit der man Optionen vernünftig und angenehm gestaltet. Ich würde das als eine konstruktive Manipulation bezeichnen: der Mensch hat weiterhin die Wahlfreiheit, tendiert jedoch zur langfristig nachhaltigeren Option. Beispielsweise, wenn Reisenden bewusst wird, dass sie nicht nach Australien reisen müssen, da ein gleichwertiger Urlaub auch in der österreichischen Erlebniswelt genießbar ist.