Andreas Reiter im Interview

Zukunftsforscher Andreas Reiter im Interview

Wie ticken die Gäste von morgen und mit welchen Erlebnissen kann man bei ihnen punkten? Über diese und andere Themen sprach bulletin mit dem Zukunftsforscher Andreas Reiter am Rande der Seefelder Tourismusgespräche.

Herr Reiter, Sie beraten Destinationen in Zukunftsfragen – wie macht man das?

Je nachdem, ob wir von der nahen oder von der entfernteren Zukunft sprechen, gibt es unterschiedliche Zugänge. Auf die nahe Zukunft, also die Prognosen für die kommenden 7 bis 8 Jahre, kann ich ganz gut mit Trends fokussieren, während die fernere Zukunft in etwa 30 Jahren anhand unterschiedlicher Zukunftsszenarien betrachtet werden kann. Entscheidend ist dabei die Frage, welche der vorhandenen Möglichkeiten ich ergreifen will, um die Zukunft mitzugestalten.

Welche Trends spielen in diesem Zusammenhang die Hauptrolle?

Einer der gewichtigsten Trends wird anhand der „flüssigen“ Moderne sichtbar, in der jegliche Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Mensch und Technologie oder Einheimischen und Touristen zerfließen. Der Erfolg der Buchungsplattform Airbnb ist ein hervorragendes Beispiel für diese verschwimmenden Grenzen. Airbnb bedient nach dem Motto „feel like a local“ den Wunsch, wie Einheimische zu leben. Hier wird die Erfahrung als Erlebnis zentral. Airbnb erinnert mich persönlich sehr an eine moderne Version der Privatzimmervermietung vor 50 Jahren, wo Gäste ihr Zimmer hatten, aber sich auch mit den Hausbewohnern im Wohnzimmer aufhielten, um etwa gemeinsam einen Krimi zu schauen. Ein weiteres Beispiel wären Hotels mit Co-Working Angeboten, die wissensbasierte Arbeit am Computer auch im Urlaub ermöglichen: Auch hier verschwimmen die Grenzen zwischen Job und Freizeit.

Wie ticken die Gäste von morgen?

Die Gäste als homogene Gruppe gibt es eigentlich nicht mehr, es gibt bereits jetzt starke Segmentierungen. Wir unterscheiden zwischen budget-affinen Gruppen, einer breiten Mitte, die nach wie vor klassische Urlaubsformate schätzt, und einer kleinen High-End Zielgruppe. Zur oberen Mittelschicht gesellt sich aber eine weitere, spannende Gruppe: Die jüngeren Generationen, die sehr gut ausgebildet sind und zudem sehr reiseerfahren. Die entscheidende Innovation wird also von ihnen, den sogenannten Millennials und Digital Natives vorangetrieben, die vom technologischen und kulturellen Wandel der Sharing Economy geprägt sind. So sind die Gäste von morgen eher urban, smart und international, speziell aus dem asiatischen Raum. Sie werden übrigens internationaler werden müssen, weil wir von unseren klassischen Märkten allein in Zukunft nicht leben werden können.

Zum Stichwort smart: Wird der Urlaub zunehmend Instagram-tauglich?

Ja, aber ich würde noch einen Schritt weitergehen: Statt klassisch kuratierter Urlaubsangebote werden künftig überraschende und unvorhersehbare Momente, ja richtige Erlebnisse gesucht. Dabei entsteht gleichzeitig eine neue Erinnerungskultur, wo der Tourismus eine starke narrative Qualität entwickeln muss, mit guter Inszenierung. Der Urlaub ist tot, die Reise lebt: In der digitalisierten Gesellschaft sind durch soziale Medien Themen wie Körper, Ernährung und Kultur wichtige Inszenierungsflächen, weil sie Identität stiften. Die Reiseziele erhalten somit einen höheren Symbolwert, es geht um Prestige und Resonanz. Das Netz mag dabei zwar von Bildern mit ähnlichen Posen geflutet werden, die Differenzierung geschieht aber über die individuelle Identifikation mit bestimmten Konsumgütern. Dass Insta-Bilder in Summe nicht einzigartig aussehen, ist sekundär, weil man sich als Individuum von allen anderen unterscheidet. Entscheidend ist auch in diesem Bereich eine ausgewogene Balance zwischen digital optimierter Customer Journey und dem eigentlichen Erlebnis, das sozusagen analog passiert. Touristische Produkte müssen also bestimmte Erfahrungen generieren und überraschen, etwa mit einem speziellen Gericht des Tages im Restaurant, bis hin zum „Blind Booking“-Flug von Eurowings, also einer kompletten Überraschungsreise. Davon kommen Menschen gereifter und glücklicher zurück nach Hause.

Wie sieht denn eine gute Inszenierung aus?

Eine gute Inszenierung ist minimal invasiv, verbindet zum Beispiel Kunst, Kultur und Natur. Sie rückt den Fokus auf die Freizeit als Gegenwelt zum eigenen Alltag, wo Reisende kurzfristig ein anderes Ich ausprobieren, eine Spielwiese der Identität betreten. In Bergregionen wie Tirol oder Salzburg geschieht dies über das Thema Sport als kompetitive, körperliche oder entschleunigende Erfahrung. Mit einer einfachen Almhütte ohne Strom, die aber rundum perfekt serviciert wird, weckt man leicht die Sehnsüchte der städtischen Gäste. Gut inszenieren lässt sich aber auch die Destination Alltag, wo Reisende neue Lebenswelten entdecken und sozusagen Einheimische auf Zeit werden. Dazu gehören sogenannte „detouristifizierte“ Angebote, wie das Sammeln von Plastikmüll in Amsterdam oder Berlin (ja, sowas gibt’s auch). Die Reisenden erleben den dortigen Alltag besonders intensiv, wodurch nicht nur ein außerordentliches Gefühl der Gemeinsamkeit entsteht, sondern auch die Grenzen zwischen Einheimischen und Touristen einmal mehr verschwimmen. Natürlich passt nicht jeder Gast überallhin, aber jeder Betrieb kann sich überlegen, wer angesprochen werden soll.

Spielen in diesem Zusammenhang Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel auch eine Rolle?

Absolut. Das sind massive Themen, die die Touristikbranche aber noch nicht wirklich begriffen hat. Ein paar regionale Produkte hier, ein bisschen Fotovoltaik da – das ist alles gut gemeint, aber bislang nur reine Kosmetik. Im Vergleich dazu steht die Autoindustrie unter wesentlich mehr Druck. Dort passiert gerade ein Umdenken in Richtung E-Mobility, Reduktion des Individualverkehrs, Ausbau der Öffis etc. Es wird zwar noch eine Weile dauern, aber der Umbau im System geht vonstatten.

Was kann Österreich als Destination in dieser Hinsicht bieten, wo gibt‘s Aufholbedarf?
Österreich ist generell in einem wertigen Segment unterwegs. Die Entwicklung muss aber nicht immer weiter und höher, sondern in die Tiefe gehen, um auch wertige Erlebnisse zu kreieren. Meiner Meinung nach kann mancherorts die Masse reduziert und die Wertschöpfung erhöht werden, aber je nachdem, ob’s zur jeweiligen Destination passt. Die Nachfrage nach ökotouristischen Produkten nimmt zu, ein Thema mit großem Potenzial. Das sieht man beispielsweise in Vorarlberg, wo sich eine kleinteilige, achtsame und innovative Kultur durch alle Bereiche zwischen Kulinarik und Architektur zieht. Aber da geht noch mehr, etwa in Skigebieten, wo klimafreundlichere Seilbahnen als Produkt kommuniziert gehören. Und: Nicht alle Skigebiete werden den Klimawandel überleben. Wo dies allerdings gelingt, werden höhere Ticketpreise die Massen regulieren.

Apropos Massen: Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Tourismusgesinnung?

Die mangelnde Akzeptanz wird von Touristikern leider gerne verdrängt, obwohl die Auswüchse durchaus problematisch sind: In touristischen Hochburgen wird beispielsweise der Wohnraum teurer, was potenzielle Arbeitnehmer wiederum verdrängt. Da gilt es einen Mittelweg zu finden und beispielsweise Benefits für Ortsansässige zu generieren. Die Freizeitanlagen sind ja auch für sie da, man könnte ihnen auch preislich entgegenkommen. Sonst geht’s nach hinten los.