Nicht nur "bella vita"
Ein Beitrag von Oskar Hinteregger, Regionmanager Frankreich, Italien, Spanien, Türkei und Brasilien
Es gibt sie wirklich – diese hartnäckigen Vorurteile!
Träumen sie auch gelegentlich Italienisch? Il Mare, dolce far niente, la musica di Verdi e delle mandoline, la cucina italiana e il vino, la moda, le scarpe, ein wenig „domani“, chaos, amore, la mama und la lingua, die wie frische Trüffel auf der Zunge schmilzt.
Nach acht preußisch geprägten Jahren und mittlerweile 6 Monaten in Mailand – wenn es nach den Mailändern (und wohl vielen im Norden Italiens) geht, fängt ja Italien erst etwa 100 Kilometer südlich von Mailand an – versuche ich ein erstes Resümee. Vergleiche mag ich nicht, denn entweder hinken sie oder sie sind zutiefst subjektiv.
Dolce far niente
Zumindest bis dato Fehlanzeige! Im Gegenteil, die Italiener haben im Alltag viel Stress! Warum? Liegt es daran, dass die Geschäfte wochentags bis mindestens 21 Uhr geöffnet sind? Und natürlich auch am Samstag und am Sonntag am Nachmittag.
Wer kein Geschäft hat, arbeitet ebenfalls viele Stunden. Die 6-Tagewoche ist Programm. Warum? Ich orte vor allem Regeln, Verordnungen, Bestimmungen! So viele, dass sich fast keiner mehr auskennt. Sind die der Grund, warum es sogar ein Vereinfachungsministerium gibt? Diese Anhäufung macht den Arbeitsalltag reichlich komplex. Ich höre sehr oft, dass sich hier in den letzten 20 Jahren vieles nicht nur zum Positiven entwickelt hat. Die Eindämmung von kreativen Lösungen (und der Schattenwirtschaft) und eben viele neue Regeln haben wohl ihren Preis. Und ohne Rechtsberater funktioniert wohl ziemlich wenig relativ flott.
Il fine settimana
Die Flucht ins Wochenende oder in den Kurzurlaub. Fast jeder hat oder kennt zumindest jemand, der ein Haus am Meer oder in den Bergen hat. Dort lebt man die Gegenwelt zum Alltag. Und am Sonntag spät abends (nicht nur dann) staut es sich immer auf den Einfahrtsstraßen in die Metropolen.
Öffentlicher Verkehr – Eine große positive Überraschung! Der „freccia rossa“ bringt einen in 2 Stunden 50 Minuten – oder von Venedig in 3 Stunden 33 Minuten nach Rom. 300km/h Spitzengeschwindigkeit und bester Komfort inklusive!
Molto gentile
Jede persönliche Begegnung ist eine wahre Freude. Es bedarf jedoch, für „Preußisch“ gewohnte Menschen vielleicht einer längeren Aufwärmphase. Man will sich ja erst einmal ordentlich beschnuppern und ausführlich schildern, was einem wichtig ist.
l’emozione
Vielleicht weil im Alltag immer weniger Zeit ist, will man diese in der Freizeit und im Urlaub leben. Ich fange an zu verstehen, warum ich von österreichischer Seite gelegentlich höre, dass es ziemlich aufwendig mit den italienischen Gästen sein kann. Emotionen leben, scheint für die Italiener vorrangig zu bedeuten, spontan zu sein! Bestmöglich organisieren ist schon im Alltag eine Last!
La spontaneità - La generosità
Die Italiener sind Meister der Emotionen und im Ausloten, wie viel Geld man ganz individuell bereit ist, für ein Anliegen zu bezahlen. Preise schaffen lediglich Orientierung oder die Basis für eine Verhandlung. Und erst dann geht’s mit dem Verhandeln los…. und am Ende will jeder mit dem Gefühl gehen, dass er oder sie großzügig waren und zufrieden sind.
L‘Aperitivo
Was für eine wunderbare Erfindung. Von 18.30 bis 20.30 Uhr sitzt man beim Aperitiv, trinkt Aperol Spritz und isst eine Jause dazu. Die Bartheken sind voll von verschiedenen Antipasti. Und nach dem Aperitif noch schnell einmal für eine Stunde ins Büro – oder zum Umziehen, weil um 21 Uhr täte man dann schon (wieder!) gerne abendessen.
Caffe
Ein Espresso um € 1,30 - für viele ItalienerInnen ein Wucher! Abseits der kaufkräftigen Geschäftsstraßen gibt es den „Caffe“ deutlich billiger! Das Gleiche gilt übrigens auch für eine ordentliche Pizza – über € 9,- zahlen nur die Touristen.
Wirkliche Top-Restaurants hingegen (ab Michelin Sterne Niveau) können hingegen deutlich höhere Preise durchsetzen als bei uns in Österreich.
Il vino, il prosecco
Ich bin (noch) in der Orientierungsphase. Das Angebot ist unendlich groß und 3 Flaschen Bier kosten so viel wie eine ordentliche Flasche (!) Wein.
Alberghi
Meine aktuelle Formel: Ich nehme den Preis, den ich gewohnt war und verdopple diesen. Dann bekomme ich vielleicht ein adäquates Zimmer.