Interview: Dr. Marc Olefs

"Andere Länder schauen auf uns"

Wir sprachen mit Klimaforscher Dr. Marc Olefs über die Zukunft des Wintertourismus im Alpenraum und darüber, welche Rolle Österreich im Kampf gegen den Klimawandel einnimmt.

Der Sommer 2018 war wieder extrem heiß und trocken. Eine Folge des Klimawandels?

Olefs: Der Sommer 2018 war in Österreich der viertwärmste, mit zwölf Prozent mehr Sonnenschein und zwei bis drei Mal so vielen Hitzetagen wie im langjährigen Schnitt. Ursache war ein stabiles Hochdruckgebiet, das sich persistent über Skandinavien gehalten hat. Solche sogenannten Blocking-Lagen werden wir aufgrund der durch den Klimawandel verursachten Änderungen in der atmosphärischen Zirkulation in Zukunft wahrscheinlich häufiger sehen. In Hinblick auf Ursachen und Treiber ist zu sagen, dass Hitzewellen an sich ein natürliches Phänomen sind. Das hat es schon immer gegeben. Nun sehen wir in Österreich seit Ende des 18. Jahrhunderts einen signifikanten langfristigen Temperaturanstieg von zwei Grad. Ungefähr die Hälfte davon ist eindeutig vom Menschen durch Treibhausgasemissionen verursacht. Diese deutliche Temperaturerhöhung, speziell seit den 80er Jahren, führt dazu, dass ein natürliches Ereignis wie eine Hitzewelle nochmal deutlich verstärkt wird.

Der Eindruck, die Hitze sei eine Folge des Klimawandels, ist also richtig?

Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus natürlicher Schwankung, dem erhöhten Temperaturniveau und veränderter atmosphärischer Zirkulation aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels.

Reden wir vom Winter…

Auch im Winter sehen wir rückblickend eine langfristige hochsignifikante Erhöhung der Lufttemperatur um knapp zwei Grad. Innerhalb dieser langfristigen Änderung kommt es zu jährlichen natürlichen Schwankungen. Wir kennen das: Es gibt sehr schneereiche gefolgt von sehr schneearmen Wintern. Schwankungen sehen wir auch bei den Lufttemperaturen. Für den Winterskitourismus hat das zwei Auswirkungen: Einmal auf die natürliche Schneedecke. Es fällt mehr Niederschlag in Form von Regen, bereits gefallener Schnee schmilzt aufgrund der höheren Temperaturen besonders im Frühjahr schneller. Andererseits wirkt sich die Temperaturerhöhung auch auf die Produktion von technischem Schnee aus, wo die Feuchtkugeltemperatur relevant ist. Mit steigenden Temperaturen sinkt auch die erzeugte Menge an technischem Schnee.

Eine Studie aus dem Jahr 2012 besagt, dass im Winter langfristig sogar mehr Niederschlag erwartet wird. Mehr Schnee? Läuft!

Die Antwort ist natürlich: Es hängt von der Seehöhe ab. In hohen Lagen, wo wir vom Gefrierpunkt weit entfernt sind, bringt eine Erhöhung von Niederschlag mehr Schnee. Aber in tiefen und mittleren Lagen, wo mehr Regen als Schnee fällt, wird es vermehrt zu Problemen kommen. Zudem muss man sagen, dass zukünftige Veränderungen der winterlichen Niederschlagsmenge sehr unsicher ist. Anders ist das bei der Lufttemperatur, hier gibt es ein sehr hohes Vertrauen in die Daten, dass diese auch im Winter langfristig ansteigen wird.

Ist künstliche Beschneiung das Allheimmittel?

Die technische Beschneiung ist per se unabhängig vom Klimawandel und wäre auch ohne den langfristigen Temperaturanstieg nötig.

Warum?

Olefs: Weil wir beim Schnee eine sehr hohe natürliche Variabilität sehen. Schneereiche Winter folgen schneearmen Wintern. Das kann sich auch über mehrere Dekaden ziehen. Wir wissen, dass wir schon in der Vergangenheit auch ohne Temperaturanstieg technische Beschneiung gebraucht hätten. Gäste erwarten konstante Schneeverhältnisse im Skigebiet. Somit ist das Thema Beschneiung losgelöst vom Klimawandel. Durch die erwartete weitere Erwärmung in den nächsten Dekaden wird die technische Beschneiung immer wichtiger werden. Sie wird aber auch immer teurer werden, weil wir besonders in tiefen und mittleren Lagen immer näher an die Grenztemperaturen kommen. Damit verbunden sind mehr Aufwand und höhere Kosten, um die gleiche Menge Schnee zu erzeugen wie heute.

Der Wintersport in Österreich ist also zukunftssicher?

Ganz klar ist, dass man in tiefen und mittleren Lagen auch 2050 noch Skifahren können wird. Aber der technische Aufwand wird weiter steigen. In hohen Lagen ist zumindest bis Mitte des Jahrhunderts keine massive Einschränkung erkennbar, weil wir da von der Grenztemperatur auch heute so weit entfernt sind, dass wir da keine Probleme bekommen.

Meine Generation hat in der Kindheit noch Schnee erlebt. Ich erinnere mich an meterhohe Schneeberge, sogar in Wien. Verklärte Kindheitserinnerung? Natürlicher Zyklus? Klimawandel?

Die Bilder sind natürlich nicht falsch. In den 60er und 70er Jahren hat es sehr viel Schnee gegeben. Auf der anderen Seite sind Eindrücke im Gegensatz zu objektiven Messdaten natürlich sehr subjektiv. Wir erleben Wetter, Witterung, und besonders extreme Situationen. Was wir aber nicht nachvollziehen können ist, wenn sich Dinge schleichend ändern. Wenn es um Klimaänderung geht, reden wir über die Änderung einer Jahresmitteltemperatur, einer winterlichen Mitteltemperatur oder einer mittleren Niederschlagssumme. Und das sieht man objektiv nur in den Messdaten. Ändert sich das Klima langfristig „schleichend“ und kommt eine natürliche Schwankung in der gleichen Richtung dazu, dann spüren wir das auch anhand von geänderten Extremwerten wie z. B. diesen Sommer.

Weiße Weihnachten – gab es die früher öfter?

Wenn wir die Änderung der Schneedecke monatlich herunterbrechen, dann sehen wir heute ein etwas späteres Einschneien und insbesondere ein früheres Abschmelzen der Schneedecke im Frühjahr. In den Kernwintermonaten Dezember, Jänner und Februar sind die Änderungen nicht ganz so markant. Deshalb würde ich sagen: Ob es an Weihnachten Schnee gibt oder nicht, liegt im Bereich der natürlichen Schwankungen. Besonders in Tieflagen wie in allen Landeshauptstädten ist die Wahrscheinlichkeiten für weiße Weihnachten gering.

Wie sieht die Zukunft der Gletscher aus?

Die Gletscher in unseren Alpen reagieren hauptsächlich auf die Sommertemperaturen. Wieviel Schnee im Winter fällt, ist für die Massenbilanz nicht so relevant. Der Hauptlieferant der Schmelzenergie ist die Strahlungsenergie der Sonne  im Sommer. Ein kurzfristiger Kälteeinbruch im Sommer, der in hohen Lagen etwas Schnee bringt, ist daher entscheidender für die Gletscher. Aufgrund der steigenden Sommertemperaturen, sowohl in der beobachteten Vergangenheit als auch in der Zukunft, erwarten wir einen weiteren deutlichen Rückgang. Die größten Gletscher wie die Pasterze oder den Gepatschferner wird es in den höchsten Lagen auch Ende des Jahrhunderts noch geben. Die meisten kleinen Gletscher aber werden bis auf wenige Ausnahmen komplett verschwunden sein. Man kennt das, wenn man schon einmal an der Pasterze gestanden ist. Die Änderungen sind, wenn man nach mehreren Jahren wieder an die gleiche Stelle kommt, schon in dieser kurzen Zeitspanne nachvollziehbar.

Gletscher im Sommer abdecken? Bringt das etwas?

Abdeckfliese verlangsamen das Abschmelzen. Aber der personelle und finanzielle Aufwand ist hoch. Das kann man eigentlich nur für neuralgische Stellen in einem Gletscherskigebiet einsetzen. Rund um Liftstützen oder Ein- und Ausstieg zum Beispiel.

Hat der Skibetrieb Auswirkungen auf den Gletscher?

Ja, das hat er. Wir messen zum Beispiel am Wurtenkees (Skigebiet Mölltaler Gletscher)seit den 80er Jahren die Massenbilanz. Dort sieht man, dass der Skigebietsbetrieb, sprich das Bewegen von Schnee auf die Pisten durch die Pistengeräte, aber auch die zusätzliche Masse durch technischen Schnee, einen positiven Effekt im Sinn der Massenbilanz haben. Der Rückzug passiert hier etwas langsamer.

Mehr Skigebiete im Sinne des Gletscherschutzes?

Aufgrund der zusätzlichen Ausstöße von Treibhausgasen durch die künstliche Bewirtschaftung (z. B. Pistengeräte) würde das keinen Sinn machen. Maßnahmen wie Abdeckvliese müssen zudem generell  ökologisch ausgelegt sein und das Schmelzwasser, das durch diese Fliese abläuft darf keine zusätzlichen Schadstoffe ausschwemmen.

Wie können Skigebiete auf die Klimaveränderung reagieren?

Am Wichtigsten ist, sich von Fachleuten beraten zu lassen. Meteorologen, Klimatologen und Betriebswirtschaftlern. Diese können die Auswirkungen von Klimaszenarien dezidiert für einzelne Skigebiet herunterbrechen. Was bedeutet das für die Beschneiungsstunden, für die Dauer der Skisaison usw. Jedes Skigebiet hat eine eigene Beschneipraxis, also ab welchem Grenzwert beschneit wird, wieviel Kunstschneeauflage für den Skibetrieb notwendig ist, wann nachbeschneit wird usw.

Wie viel kann Österreich beim Klimaschutz bewirken angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel in China gerade eine riesige Anzahl an Kohlekraftwerken gebaut wird?

Meine Antwort ist ganz klar: Einen kleinen aber sehr bedeutenden Teil! Auch wenn wir in Österreich für nur rund 0,2 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind, ist dafür kein anderer verantwortlich als wir selber. Diesen Anteil können nur wir reduzieren. Dazu kommt, dass wir eine wichtige Vorbildfunktion haben. Andere Länder, China, aber auch Entwicklungsländer, schauen ganz stark auf uns. Wenn wir das nicht schaffen, wie sollen wir von diesen Ländern erwarten, dass sie es schaffen? Wir entscheiden mit unserem heutigen Handeln, ob sich die Temperatur bis Ende des Jahrhunderts um zwei oder um weitere vier Grad erhöhen wird und somit zum Beispiel die Anzahl der Hitzetage in Wien statt um zehn um 25 ansteigen wird oder der Schneefall im Mittel über alle Höhenlagen und Regionen im Alpenraum um weitere ca. 25 Prozent oder gar 45 Prozent reduziert wird.

Herr Dr. Olefs, danke für das Gespräch.